Hexenfluch: Roman (German Edition)
sich wieder auf den Sessel sinken. »Ich bin ein Hexer. Nicht besonders mächtig, aber ich trage die Gabe in mir. Auf eine andere Art als Sie, Dr. Thorens, aber letztlich doch gleich. – Daran ist nichts zu deuten. Egal, ob es Ihnen gefällt oder nicht.«
Erneut rieb Ella sich übers Gesicht. »Sie wollen mir also erzählen, dass ich eine Hexe bin?«
»Eine Heilerin. Eine Hexe – oder auch ein Hexer – wäre vermutlich in der Lage, eine einfache Verletzung zu heilen. Jemand wie Sie, Dr. Thorens …« Er breitete in einer beredten Geste die Hände aus.
Sie presste die Fäuste in ihren Schoß. »Das bedeutet, wenn ich jemanden berühre, der Magie in sich trägt, wird sich dieses … Desaster wiederholen?«
»Sie vergessen, was heute geschehen ist. – Ihr … kalter Entzug. Obwohl Sie keine Drogen nehmen.«
Ein paar wenige Worte. Und sie reichten aus, um ihre Welt einzureißen. Nicht nur, wenn sie jemanden wie ihn berührte. – Die junge Frau in der Tiefgarage! – Ella schloss die Augen. Ihr war nach Schreien zumute. Es würde jedes Mal geschehen. Nein!
»Als ich im Krankenhaus lag – mit Ihren Verletzungen –, da haben mich alle möglichen Leute angefasst … Ärzte, Schwestern …«
»Aber sie trugen dabei Handschuhe. Und vielleicht war Ihr Körper in der ersten Zeit auch zu schwach, um Ihre Gabe zu tragen. Und später … Vermutlich hatten Sie einfach Glück, dass die Personen, mit denen Sie in direkten Kontakt gekommen sind, gesund waren … Wenn Sie jemanden berühren, bei dem das nicht der Fall ist …«
»Sie haben mich auch angefasst.«
»Das habe ich, ja. Aber ich weiß, was mit Ihnen los ist und ich bin in der Lage, mit meiner eigenen Gabe dafür zu sorgen, dass dabei nichts von mir auf Sie überspringt. Ich kann Ihre Gabe mit meiner ›abblocken‹, wenn Sie so wollen.«
Das war Wahnsinn. Der absolute Wahnsinn. Sie schüttelte den Kopf. Nein. Das durfte nicht sein. »Ich bin Ärztin.« Ihre Stimme brach. »Ich muss Menschen anfassen können. Kranke Menschen!«
»Ich weiß.« Wie zuvor stemmte er die Ellbogen auf die Oberschenkel, beugte sich vor. »Ich kann Ihnen beibringen, wie Sie Ihre Gabe kontrollieren können, Dr. Thorens.«
Nein, nein, nein. »Gehen Sie.« Sie war Ärztin. Keine … Hexe. Keine Heilerin.
»Den Kopf in den Sand zu stecken, ist auch keine Lösung.« Seine Stimme klang ebenso samtig wie gerade eben schon einmal, als er sie bei ihrem Vornamen genannt hatte.
Genau das wollte sie aber. So tief sie konnte. Zumindest für den Moment. »Gehen Sie, Mr. Havreux!«
Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, Sie missverstehen da etwas, Dr. Thorens. Ich schulde Ihnen sehr viel. Und ich habe nicht vor, dabei zuzusehen, wie irgendjemand – egal, ob aus dieser oder der anderen Welt – Sie für seine Zwecke benutzt. Oder Sie am Ende sogar an sich bindet.«
Etwas in seinem Ton hatte sich verändert, brachte sie dazu, ihn ungläubig anzusehen. »Sie wollen jetzt aber nicht auch noch behaupten, dass ich wegen dieser … Gabe in Gefahr bin?«
»Ich wünschte, dem wäre nicht so, aber ich fürchte, ja.« Er gab ihren Blick zurück. Entschieden. Und … hart. »Was ich in dieser Gasse gespürt habe, als Sie mich berührten … – Sie haben meine Verletzungen nicht nur geheilt. Sie haben sie übernommen. « Wieder breitete er die Hände aus. »Sie sind mächtig, Ella. Sehr mächtig. Und diese Macht wird Begehrlichkeiten wecken. – Bisher waren Sie durch den Zauber Ihrer Mutter geschützt. Aber jetzt … Man wird diese … Explosion Ihrer Macht gespürt haben. Dass noch niemand an Sie herangetreten ist, ist eigentlich kaum zu glauben. – Sie dürfen niemand trauen, Ella. Niemandem! Alle Parteien werden versuchen, Sie auf ihre Seite zu ziehen. Und solange Sie Ihre Macht nicht beherrschen können, sind Sie leichte Beute für jeden.«
»Sie erwarten jetzt nicht wirklich, dass ich Ihnen glaube, ich wäre …«
Die plötzliche Härte in seinem Blick ließ sie den Rest des Satzes runterschlucken. »Lassen Sie mich Ihnen etwas über diese andere Welt erzählen, in die Sie hineingeraten sind, Ella: Sie ist dunkel. Und geprägt von altmodischen Vorstellungen.
In früheren Zeiten gab es überwiegend Hexer-Clans. Ganze Familiendynastien, in denen die älteren Generationen die jüngeren ausbildeten. Schon allein durch ihre Familienbande waren sie stark. Und sie wussten, dass man diese Stärke durch geschickte Heiratspolitik noch festigen und ausdehnen konnte.«
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