Hexengericht
sie für euch?«
Jean begann zu schwitzen. »Nicht direkt, ehrwürdiger Vater.«
»Was heißt ›nicht direkt‹? Sprich deutlich.«
»Sie flicht hier und da Körbe für uns, ehrwürdiger Vater.«
»Aha«, sagte Henri. Er las einige Zeilen eines Schriftstückes. »Vor vier Jahren war einer deiner Söhne schwer krank. War die Angeklagte vor der Erkrankung bei euch im Hause?«
»Nun, ja«, sagte Jean. Er trat von einem Bein aufs andere. »Drei Tage vorher hat Anne eine Lieferung Körbe zu uns gebracht.«
»Was geschah an diesem Tag?«
»Lisette und ich waren vor dem Haus. Ich sagte Anne, sie solle die Körbe nur hereinbringen. Wir vertrauen Anne, und deshalb …«
»Schweif nicht ab!«, polterte Henri. »Was hast du gesehen, als du in das Haus kamst?«
Der Blick des Bauern wanderte von Lisette zu Henri, zu den anderen hohen Herren und zu Lisette zurück. Er wagte nicht, in Annes Richtung zu schauen. »Ich habe gesehen, dass Anne Worte in einer Sprache aufsagte, die ich nie zuvor gehört habe.«
»Sprach sie zu dir?«
»Nein, ehrwürdiger Vater.«
»Sondern?«, fragte Henri ungeduldig.
»Sie sprach in alle vier Ecken des Hauses«, sagte Jean. »Wie zu unsichtbaren Geschöpfen. Und dabei schlug sie fortlaufend umgedrehte Kreuze.«
Gemurmel entstand unter den Versammelten.
»Gut, gut«, sagte Henri. Er schien zufrieden. »Die Aufzeichnungen zeigen, dass deine Ernten in den letzten Jahren schlecht ausgefallen sind. Kannst du dir das erklären?«
Jean blickte zu Boden.
»Kannst du dir das erklären?«, wiederholte Henri schärfer.
»Ja, ehrwürdiger Vater«, gab Jean zu. »Ich fand eines Tages auf meinem Acker eine seltsame Puppe. Sie sah aus wie der Teufel, und sie war geflochten aus dem Schilf, das Anne für ihre Körbe verwendet.«
»Ergo hat die Angeklagte deinen Acker behext, auf dass er nicht mehr Früchte trug?«
»Ja, ehrwürdiger Vater.«
Erneutes Gemurmel.
»Es ist bekannt«, führte Henri aus, »dass Hexen unter Zuhilfenahme von verderblichen Mixturen und Zaubersprüchen einen Mann behexen können, sie zu lieben und ihnen zu Willen zu sein. Hast du je fleischliche Lust für die Angeklagte empfunden?«
»Das habe ich, ehrwürdiger Vater«, flüsterte Jean.
»Sprich lauter!«
»Ja, das habe ich«, wiederholte Jean.
»Wie hat sie dir die Zaubertränke verabreicht?«, fragte Henri.
»Sie hat mir oft und reichlich von ihren selbst gekochten Speisen angeboten«, sagte Jean. »Sie war erbost, wenn ich abgelehnt habe.«
»Hast du jedes Mal, wenn du bei der Angeklagten ihre Speisen gegessen hast, fleischliche Lust nach ihr verspürt?«
»Jedes Mal, ehrwürdiger Vater«, antwortete Jean.
»Dein Weib bestätigt deine hier gemachten Aussagen?«
»Ja, ehrwürdiger Vater.«
Anne, die die ganze Zeit apathisch dagesessen hatte, löste sich plötzlich aus ihrer Starre. »Das ist doch alles nicht wahr, Jean«, stöhnte sie weinend. »Sag ihnen, dass das nicht wahr ist. Lisette, sag du es ihnen!«
»Ruhe!«, rief Henri, und Raphael legte einen Arm um seinen von unmenschlichen Qualen gemarterten Schützling.
Noch bevor Henri die beiden Zeugen entlassen konnte, sprang Raphael von seinem Stuhl auf. »Ich bitte das hohe Gericht, den Zeugen einige Fragen stellen zu dürfen.«
»Es ist Euch erlaubt«, zischte Henri.
Raphael sammelte seine Gedanken. Seine Knie zitterten. Es ging um das Leben einer ehrbaren, unschuldigen Frau. »Diese Puppe, von der du sprachst … Hast du sie mitgebracht? Kannst du sie vorzeigen?«
»Äh«, stammelte Jean. Er starrte hinüber zu seiner Frau, dann zu Henri und zurück zu Raphael.
»Nun?«, fragte Raphael.
»Nein, ich habe sie nicht hier.«
Raphael zog die Augenbrauen hoch. »So? Wo ist sie dann?«
»Ich …« Man sah Jean die Verzweiflung an. Schließlich hellte sich sein Gesicht auf. »Ich habe sie verbrannt.«
Raphael sackte in sich zusammen. Es schien aussichtslos, diesen Prozess zu Gunsten von Anne zu entscheiden. Ein Komplott womöglich? Nur, was lag Henri daran, eine Frau auf den Scheiterhaufen zu schicken, der er nie zuvor begegnet war? »Hast du gesehen, dass Anne Langlois die Speisen mit Zaubertränken vergiftet hat?«, fragte er weiter. »Mit deinen eigenen Augen?«
Diesmal griff Henri ein. Noch bevor Jean ein Wort sagen konnte, bemerkte er: »Der Zeuge hat ausgesagt, dass er die Angeklagte jedes Mal nach dem Genuss der Speisen begehrte. Das genügt dem Gericht als Beweis. Die Zeugen Brillon können gehen.«
»Hohes Gericht«, rief Raphael. Seine Stimme
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