Hexengericht
sollte ein junger Mönch aus der Provinz einem Meister des Worts wie Henri le Brasse entgegensetzen? Er erinnerte sich an das, was Bruno gesagt hatte, und beschloss, sein Herz sprechen zu lassen.
Schon war der Karren vor dem Gerichtshaus angekommen. Man schleppte Anne hinein, ohne auf Raphael zu achten. Er sprang in den Schlamm, raffte seine Kukulle und lief den Bütteln hinterher. Vor dem Gericht war eine Schar Menschen zusammengeströmt. Sie warteten auf das Urteil – und die darauf folgende Verbrennung der Hexe.
Als Raphael in den Gerichtssaal kam, war Anne bereits da. Sie hing mehr im Stuhl, als dass sie saß. Die Zuschauer starrten erschrocken zu ihr hinüber. Am Morgen war sie zwar geschwächt und gedemütigt, aber dennoch ungemein stolz gewesen, nun war sie nur noch eine leblose Hülle.
Henri stand auf, und die Menge richtete den Blick auf ihn. »Die Angeklagte hat die Ketzerei gestanden.«
»Ehrwürdiger Vater«, warf Raphael ein. »Ich bitte Euch, mir das Wort zu erteilen.«
»Ihr habt es Euch bereits genommen«, zischte Henri. »Sprecht!«
Einen Augenblick hielt Raphael inne. Dann hob er den Kopf und unternahm einen letzten Versuch, Annes Leben zu retten. »Die Mediziner lehren, dass bei Mensch und Tier mancherlei neue Leiden auftreten, die von den Ärzten noch nicht genügend erforscht sind. Wenn ein Arzt eine neue Krankheit nicht kennt oder ein altes Leiden sich trotz Behandlung nicht bessert – dann überlässt man sich irgendwelchem Aberglauben, spricht von Hexenwerk und Zauberei und gibt die Schuld denen, die zufällig dort waren, wo das Unerklärliche passiert ist. Da ist es denn kein Wunder, wenn immer mehr Frauen beschuldigt werden, Hexen zu sein, zumal Prediger und Geistliche nichts dagegen unternehmen, sondern diesen Aberglauben noch schüren.«
Bei den letzten Worten war der Prior aufgesprungen. »Hütet Eure Zunge oder ich lasse sie Euch herausschneiden! Ihr beleidigt die heilige Inquisition wie ein Ketzer!«
Raphael ließ sich nicht beirren. »Denunziation und Angst werden diese Stadt regieren. Niemand kann mehr sicher sein, ob ihn nicht sein Nachbar aus Neid, Gier und Hass verrät.« Er wandte sich dem entsetzten Publikum zu. »Ihr alle könnt morgen die Nächsten sein. Gebietet diesem Treiben Einhalt oder ihr folgt dieser unschuldigen Frau auf den Scheiterhaufen. Quousque tandem?«, rief er. »Wie lange noch?«
Stille trat ein. Bischof de Margaux starrte Raphael mit offenem Mund an. Henri schnaubte vor Wut. Dann sagte er ungewohnt ruhig: »Das wird ein Nachspiel haben. Seid dessen gewiss.«
Er atmete tief durch. »Ich verlese das Geständnis der Angeklagten Anne Langlois. Bezeugt und unterschrieben: ›Vor zehn Jahren, als ich beim Körbeflechten war, kam ein Mann in schwarzen Kleidern und einem grünen Hut in mein Haus. Er schüttete viel Gold und Silber in meinen Schoß und forderte den Beischlaf von mir. Ich habe sogleich eingewilligt, aber der Beischlaf war kalt und unnatürlich. Nach zehn Tagen kam der Teufel erneut zu mir und forderte abermals den Beischlaf. Wieder habe ich ihm gehorcht. Dann hat er gefordert, ich müsse ihm nacheifern und alles Vieh und alle Ernten vernichten. Abends war er schon wieder aufgetaucht und hat mich mit auf einen Hexentanzplatz genommen. Dabei musste ich im Namen des Teufels links auf eine Geiß aufsteigen. Er nannte sich Luzifer und gab mir den Namen Röschen. Der Buhle hat mich dann öfter in Gestalt einer schwarzen Katze aufgesucht, und auch einmal ein Viert Kleie mitgebracht. Darauf habe ich selber eine andere Frauensperson das Zaubern gelehrt und sie in ihrem Stalle bei den Kuhkrippen wiederum einem Teufelsbuhlen angetraut, der Hundsfüße hatte und den Namen Kasper trug. Ich danke Gott selber höchlich, dass er mich zur Erkenntnis meiner Sünden hat kommen lassen und mich durch die angewendeten Mittel in die ewige Seligkeit aufnehmen will.‹«
Gemurmel hob an. Raphael schüttelte den Kopf. Anne war nicht einmal in der Lage gewesen, das Geständnis zu unterschreiben. Wie hatte sie es da lesen können? Das Dokument ist eine einzige Lüge!
Henri verlas das Urteil. »Wegen Verleugnung Gottes, Vereinigung mit dem bösen Feind, Verunglimpfung des heiligen Sakraments des Altars und wegen des Lasters der Zauberei soll sie von peinlichem Rechts wegen mit dem Feuer vom Leben zum Tode gestraft und vernichtet werden. Wir empfehlen ihre Seele Gott, dem Allmächtigen.«
Mit diesen Worten rissen die Büttel Anne fort. An der Tür traten zwei
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