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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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aufeinander.
    »Henker«, sagte Henri, »beginne mit deinem Werk.«
    Grob schnappte der Henker nach Anne und zerrte sie auf einen Schemel, vor dem ein kleiner Tisch stand. Sie ließ es ohne Gegenwehr geschehen. Von einer Ablage an der Wand nahm er die Daumenschrauben und legte sie vor Anne auf den Tisch. Dann legte er Annes Daumen zwischen die Bretter und drehte langsam an den Schrauben. Er beobachtete die Frau aufmerksam, doch auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Regung. Er drehte die Schrauben noch enger. Jetzt schrie Anne auf.
    »Halt ein«, fuhr Henri dazwischen. Er stellte sich vor Anne auf. »Warum hat sie sich in dem Hause und auf dem Felde des Leibeigenen Brillon sehen lassen?«, fragte er.
    »Ich habe ihnen Körbe gebracht«, antwortete Anne mit zusammengepressten Zähnen. »Auf dem Feld war ich nicht.«
    Ein Nicken Henris hieß den Henker weiter an den Schrauben drehen. Nach einer viertel Umdrehung fragte Henri erneut: »Warum hat sie sich in dem Haus und auf dem Feld des Leibeigenen Brillon sehen lassen?«
    »Ich …«, stöhnte Anne, »ich habe ihnen Körbe geliefert.«
    »Henker«, sagte Henri, und der unbarmherzige Klotz setzte zu einer weiteren Umdrehung an. Anne schrie so laut, dass Raphael glaubte, sie würde auf der Stelle sterben.
    »Gesteht sie jetzt, dass sie mit dem Teufel im Bunde ist?«, fragte Henri.
    Es dauerte eine Weile, bis Anne antworten konnte. »Niemals«, hauchte sie.
    Eine unbekannte Kraft erfüllte Raphael. Er baute sich vor seinem Prior auf. »Ein letztes Mal ersuche ich Euch, mit diesem unchristlichen Vorgehen ein für alle Mal aufzuhören. Wenn Ihr diese Frau weiterfoltert, schicke ich noch vor Einbruch der Nacht einen Boten zum Heiligen Vater nach Avignon, dass er Kenntnis von Eurem Tun erhält. Ich selbst werde …«
    Weiter kam er nicht, denn Henri le Brasse hatte ihm eine schallende Ohrfeige gegeben. »Fort mit Euch, elender Ketzer! Wollt Ihr mir erzählen, was christlich ist und was nicht? Wer seid Ihr denn? Hinaus aus meinem Kerker! Hinaus, sage ich!«
    Der Henker packte Raphael und warf ihn durch die Tür auf den eisigen Gang. »Fahre fort mit den Beinschrauben!«, waren die letzten Worte Henris, die er hörte. Er wandte sich um, setzte sich an die feuchte Wand und schlug wütend mit den Fäusten auf den Boden. »Es ist nicht rechtens, was hier geschieht«, murmelte er. »Es ist nicht Gottes Wille, der hier geschieht.« Er hob flehend die Hände. »Herr im Himmel, warum hilfst du nicht?« Dann drangen Annes Schreie zu ihm. Er sprang auf und hämmerte wild an die Tür. Er schlug so heftig gegen das Holz, dass Splitter in seine Hände drangen und seine Knöchel bluteten. Keine Reaktion. Drinnen führten Henri und der Henker ihr Teufelswerk an der armen Frau fort. Weinend brach Raphael vor der Tür zusammen.
    Raphael vermochte nicht zu sagen, wie lange es dauerte, bis Annes Schreie erstarben. Irgendwann ging die Tür wieder auf. Sofort war er auf den Beinen. Der Aktuar erschien leichenblass und rannte fort. Dann erschien der Henker mit Anne auf den Armen. »Wie geht es ihr?«, fragte Raphael. Seine Stimme überschlug sich. Sein Blick fiel auf Annes Gesicht. Blut überall. Auch auf ihrem Gewand. »Was in Gottes Namen habt Ihr mit ihr gemacht?«, wollte er von Henri wissen.
    Henri hielt ihm triumphierend ein Schriftstück hin. »Sie hat gestanden, dass sie eine Hexe ist. Nun geht mir aus den Augen!« Er stieß Raphael zur Seite und achtete darauf, dass der Henker ihm folgte. »Zurück zum Gericht!«, befahl er ihm.
    Auf dem Weg zurück bestand Raphael darauf, bei Anne in dem schrecklichen Käfig mitzufahren. Da Henri nicht zugegen war, konnte er seine Forderung mühelos durchsetzen.
    Die ehemals stolze Anne Langlois, die er nun in den Armen hielt, bot einen herzzerreißenden Anblick. Die Glieder ausgerenkt, Finger und Beine gebrochen, an beiden Füßen heftig blutend, war sie dem Tode näher denn dem Leben. Womöglich wäre der Tod eine Erlösung für sie, überlegte Raphael, während er den kahl rasierten Kopf streichelte. Nur ein dünnes Gewand hatte man der Angeklagten zugestanden. Dabei war die Kälte kaum auszuhalten. Anne atmete stoßweise, und ihr Atem bildete kleine Wolken vor ihren geschlossenen Augen, die sich schnell verflüchtigten.
    »Kyrie eleison«, murmelte Raphael. Er war in Gedanken bei seinen letzten Worten vor dem Inquisitionstribunal. Was konnte er sagen? Wie sollte er die Frau den Klauen dieser Bestien entreißen, wo ihr Urteil doch schon feststand? Was

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