Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
Vom Netzwerk:
bewaffnete Männer hinzu, die die Verurteilte nicht mehr aus den Augen ließen. Raphael blieb keine Zeit; er lief den Männern hinterher. Seine letzte Pflicht bestand nun darin, die unschuldige Frau zum Scheiterhaufen zu geleiten und für sie zu beten.
    Vor dem Gericht stand der Mob bereit, einen Hagel aus Eiern, alten Kohlköpfen und Steinen auf die Hexe zu werfen. Unter den johlenden Rufen der Menge stieß man Anne in den Käfig. Langsam setzte sich der Tross in Bewegung, begleitet von unzähligen erregten Menschen. Raphael betete laut. Doch Anne nahm all dies nicht wahr. Atmete sie überhaupt noch? Raphael streichelte sie und spürte den flachen Atem auf ihrem Bauch. »Möge Gott deiner Seele gnädig sein, gute Anne«, flüsterte er.
Miraculus, der Gaukler
    A uf dem Marktplatz herrschte buntes Treiben. Bauern der Umgebung boten ihren Überschuss an Getreide, Käse, Milch, Eiern oder Fleisch feil. Fahrende Händler verkauften Töpferware, Seile, Salz, Stoffe. Da wurde gefeilscht, gestritten und gezecht. Mancher Standbesitzer stritt scherzhaft mit seinem Nachbarn und zog über dessen Waren her. Messerschleifer drohten frechen Gassenjungen, die hier und da einen Versuch wagten, an die begehrten Klingen zu gelangen. Feiste Wurstverkäufer schmeichelten den Damen. Gelegentlich sah man grell geschminkte Huren, die sich möglichen Freiern anboten, in der Hoffnung auf ein paar Sous. In einer Ecke lag ein kriegsversehrter Soldat, der um ein paar Münzen bettelte. Händler, die ein gutes Geschäft gemacht hatten, schlossen ihre Stände, tranken Bier und vergnügten sich beim Würfelspiel. Obwohl es eisig kalt war, blieb kaum einer den Vergnügungen auf dem Markt fern.
    Die Attraktion stellten zweifellos die Spielleute dar. Das bunte Volk zog die Massen magisch an. Da waren Stelzenläufer, Schwertschlucker, Messerwerfer, Feuerspucker, Puppenspieler und allerlei Musikanten mit Schellen, Drehleier, Zimbeln, Flöten, Laute, Rotta und Mandora, die fröhliche Zechlieder und traurige Minne vortrugen. Einige Jungen vollführten Purzelbäume, schlugen Räder und beherrschten das Diabolo so gekonnt, dass den Leuten der Mund offen blieb.
    »Kommt heran und staunet!«, rief der alte Bertrand. Er marschierte gemeinsam mit einem Trommler die Reihen der Marktbesucher ab. »So etwas habt ihr noch nie gesehen. Lasst euch verzaubern von Miraculus, dem Meister der Gaukelei. Schaut ihm zu, wie er Keulen und Bälle und selbst Feuerschwerter durch die Luft wirft. Hört, wie tausend Stimmen aus ihm sprechen. Und gebt gut Acht auf euren Geldbeutel, dass er nicht verschwindet wie von Zauberhand.« Er deutete auf einen schlaksigen jungen Mann mit braunen Haaren und grünen Augen, der mit den anderen Gauklern auf dem Marktplatz stand und mit fünf Bällen jonglierte.
    Bertrand ging weiter zu einem kahlköpfigen, muskelbepackten Kerl, der seinen Kopf in den Nacken legte und langsam ein Schwert in seinem Schlund verschwinden ließ. »Magnus, der Schwertschlucker!«, tönte Bertrand. »Und er spuckt Feuer, dass selbst der Teufel neidisch wäre.« Zum Beweis nahm Magnus einen Schluck aus einer Flasche, hielt eine Fackel vor seinen Mund und blies der Menge eine Feuerfontäne entgegen.
    »Amicus, der Herr der Messer!«, rief Bertrand. Amicus, ein großer, kräftiger Mann mit einem prächtigen schwarzen Schnurrbart, warf einige Messer auf eine Holzscheibe, vor der eine Frau stand.
    »Kommt näher und erfreut euch an den Possen von Jacques und Jacques«, krähte Bertrand weiter. »Sie tragen denselben Namen, doch sie könnten kaum unterschiedlicher sein.«
    Zwei Männer, der eine klein mit lockigem schwarzen Haar und einer knolligen Nase, der andere groß, blond, mit strengen Augen, eilten herbei. Der große Jacques, gekleidet in einen blauen Umhang, der einst prächtig ausgesehen haben mochte, und einer hölzernen Krone auf dem Kopf; der kleine Jacques in einem Narrenkostüm. Während der kleine Jacques den größeren neckte, schlug der mit der Krone ihm mit einem Stock unentwegt auf den Kopf. Das Publikum lachte schallend.
    »Und nun lasst euch verzaubern«, beendete Bertrand seinen Vortrag. Er verneigte sich tief, zog seine Mütze und wedelte damit vor seinen Füßen.
    Der junge Miraculus war an der Reihe. Schnell zog er die Aufmerksamkeit der Zuschauer an. Er warf drei bunte Bälle in die Luft, jonglierte einhändig, warf zwei weitere dazu und beherrschte schließlich sieben Bälle. Die Leute riefen »Ahh« und »Ohh«. Kinder lachten und klatschten

Weitere Kostenlose Bücher