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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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lassen wir hier«, entschied Raphael. »Bis er sich befreit hat, sind wir auf halbem Wege nach Avignon, und er kann uns nicht mehr einholen.«
    »Wie Ihr meint«, sagte Jeanne.
    Raphael half Jeanne aufzusteigen, dann schwang er sich in den Sattel. Er warf einen langen Blick zurück auf Haus und Hof, wo er geboren und aufgewachsen war. Schließlich nickte er Jeanne zu, als Zeichen, dass er zum Aufbruch bereit war.
    »Oh, seht!«, rief Jeanne und deutete auf den Boden. Doch Raphael sah nichts als Schnee und wollte sie schon rügen, da erspähte er am Wegesrand ein kleines weiß-grünes Hütchen, das sich mühevoll durch die Schneedecke kämpfte.
    »Schneeglöckchen!«, rief Jeanne. »Es wird Frühling!«
    Raphael lächelte kraftlos. Ja, der Frühling nahte endlich. Was brachte er wohl mit sich? Gerechtigkeit oder Tod? Er schnalzte mit der Zunge, zog an den Zügeln, und dicht gefolgt von Jeanne kehrte er der verlorenen Heimat den Rücken.
Ritter Seiner Majestät
    A ls sie am Abend Digny erreichten, führte Luna ihre Freunde zu einem Gasthaus. Durch die Fenster drang Licht auf die matschige Straße. Lautes Gelächter aus Männerkehlen und vulgäres Kreischen der Huren zeugten von einem ausschweifenden Gelage.
    Amicus blickte Luna zweifelnd an, stieß die Tür auf, und sie traten ein. Pierre wich instinktiv zurück. Bewaffnete Männer und Huren fraßen, soffen, grölten und lachten durcheinander. Ein heilloses Durcheinander von Körpern, herumfliegenden Bierkrügen und achtlos weggeworfenen Hühnerknochen, Brotscheiben, Apfelresten. Unter einem Tisch kopulierte ein bärtiger Mann mit zwei Frauen. Die Männer waren alle baumlang mit strähnigen Haaren und verfilzten Bärten, die Wämser verdreckt mit Erde, Blut, Bratfett. In einer Ecke lagen verbeulte Helme und Harnische, Schwerter, Schilde, Lanzen, Morgensterne – allesamt genauso dreckig wie ihre Besitzer. Hinter einer langen Tafel, dicht an die Wand gerückt, standen sechs große Truhen. Pierre vermutete, dass die Männer dort die Beute verwahrten.
    »Verschwinden wir von hier«, raunte Pierre seinen Freunden zu. »Sofort!« Selbst der starke Amicus hätte gegen diese Bande nichts ausrichten können.
    Doch es war zu spät. Einer der Männer, der den Hals einer Hure mit wilden Küssen bedeckte, sah sie zuerst. Als er Luna erblickte, hielt er in der Bewegung inne, sein gieriges Lachen gefror. Auf einmal war es totenstill. Aller Augen waren auf Luna geheftet. Der Wirt bahnte sich einen Weg durch die erstarrte Menge. Mit einem fleckigen Tuch wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn. »Seid willkommen«, japste er. »Wie ihr seht, habe ich viele Gäste zu bewirten. Vielleicht solltet ihr euch eine andere Bleibe suchen.«
    »Er hat Recht«, flüsterte Pierre.
    »Wer sind diese Männer?«, fragte Amicus.
    »Söldner«, antwortete der Wirt so leise, dass Pierre ihn kaum verstand. »Sie kommen gerade aus dem Krieg.«
    »Welcher Krieg?«, fragte Amicus weiter.
    Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Irgendwo ist doch immer Krieg. Wohl der gegen die Engländer. Wer weiß das schon?«
    »Der Tisch dort vorn«, sagte Luna, »ist der noch frei?«
    Der Wirt seufzte. »Ja, aber …«
    Gefolgt von zwei Dutzend Augenpaaren durchquerte Luna den Schankraum und nahm an dem Tisch Platz. Pierre und Amicus schüttelten den Kopf, setzten sich dann aber neben sie.
    »Was darf ich euch bringen?«, fragte der Wirt mit gequältem Gesichtsausdruck. »Viel gibt meine Vorratskammer nicht mehr her.«
    »Wir sind mit Brot, Käse und Wein zufrieden, lieber Herr Wirt«, sagte Luna.
    Noch immer herrschte Grabesstille im Schankraum. Da ertönte ein lautes Ächzen. Einer der Hünen, noch größer und dreckiger als seine Kumpanen und wohl auch älter, warf die Hure von seinen Schenkeln und stand auf. Wie ein Golem stapfte er auf Luna, Pierre und Amicus zu, sodass Pierre auf seinem Stuhl zusammensank. Tiefe Furchen in sonnengegerbter Haut offenbarten die Härten eines langen Lebens im Gesicht des Anführers.
    »Wer seid ihr?«, fragte der Riese. Seine Stimme klang wie fernes Donnergrollen.
    Pierre war nicht in der Lage, irgendeine Antwort zu geben. Ein Blick zur Seite sagte ihm, dass auch Amicus nicht wohl zumute war. Nur Luna schien unbekümmert. »Wir sind Spielleute«, sagte sie. »Und wer bist du?«
    Der Anführer schaute Luna erst ratlos an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Das löste die Spannung im ganzen Raum. Die Horde fiel in das Lachen ein, und auch die Huren kreischten vor

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