Hexengericht
unzähligen Menschen, die er nun nicht mehr retten konnte.
Plötzlich gab es ein dumpfes Geräusch – und der Dominikaner kippte zur Seite.
Nur allmählich begriff Raphael, was geschehen war. Jeanne hatte dem Mönch einen ehernen Kessel über den Schädel geschlagen. Benommen richtete er sich auf und blickte in Jeannes Gesicht.
»Gebt mir Eure Hand«, sagte Jeanne. »Ich helfe Euch hoch.«
»Ich schulde Euch mein Leben«, keuchte Raphael.
Jeannes Blick fiel auf den toten Körper hinter dem Tisch. »Wer ist das?«
»Meine Mutter«, sagte Raphael. Die Worte fielen ihm schwer. »Dieser Teufel hat sie gemeuchelt.«
Jeanne schlug die Hände vors Gesicht. »Das ist ja furchtbar!«
»Helft mir, diesen Mörder zu fesseln.«
Auf dem Boden lag das Messer. Jeanne hob es auf. Wütend starrte sie auf den leblosen Mönch hinunter. »Ihr wollt ihn fesseln? Zahlen wir ihm diesen Mord doch mit gleicher Münze heim. Um ihn ist es nicht schade.«
Raphael hielt ihren Arm fest und löste das Messer aus ihrer verkrampften Hand. »Nein«, sagte er. »Sein Tod wäre sinnlos. Gott wird ihn strafen, wenn es an der Zeit ist.«
Fassungslos schüttelte Jeanne den Kopf. »Und wenn er Euch vorher tötet?«
»Dann ist es in Gottes Sinne, Madame«, erwiderte Raphael. »Nun helft mir bitte.«
Widerwillig legte sie das Messer beiseite und half Raphael, den Mönch zu fesseln. Anschließend durchsuchte er den Ordensbruder. Er fand mehrere Dokumente und begann zu lesen. »Sein Name ist Imbert«, sagte er tonlos. »Hier die Legitimation und Ernennung zum Inquisitor, vom Papst persönlich unterzeichnet.« Er studierte ein zweites Dokument. »Henri hat mich für vogelfrei erklärt. Von Euch weiß er noch nichts, Madame.«
»Wie soll es nun weitergehen?«, fragte Jeanne.
»Das ändert nichts an meinen Plänen«, antwortete Raphael. »Wir reiten nach Avignon.«
»Er ist vom Papst zum Inquisitor ernannt worden«, sagte Jeanne. »Glaubt Ihr da wirklich noch, Ihr würdet bei ihm Gehör finden?«
»Ja, das glaube ich, Madame.«
Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen. »Da ist noch etwas, was Ihr mir nicht sagen wollt. Ich glaube nicht, dass Henri Euch nachstellen würde, wenn er Angst hätte, sein Verhalten könnte beim Papst Missfallen erregen.«
»Doch, so ist es, Madame«, antwortete Raphael.
Sie verschränkte die Arme.
Raphael wusste, dass er dieser Frau nichts vormachen konnte. Er steckte die Dokumente ein und atmete tief durch. »Ich habe herausgefunden«, sagte er, »dass sich ketzerische Schriften in Henris Besitz befinden. Die Sprache war mir unbekannt, vermutlich Beschwörungsformeln, um böse Geister und Dämonen anzurufen. Ich wollte dieses Wissen nutzen, um mir beim Papst Gehör zu verschaffen. Doch der Tod meiner Eltern ist der Beweis, dass weit mehr dahintersteckt. Der Besitz ketzerischer Schriften hätte Henri gewiss das Amt gekostet, vielleicht wäre er gar exkommuniziert worden.« Er zeigte auf den bewusstlosen Imbert. »Aber dieser Mann zeigt mir, dass Henri um sein Leben fürchtet. Ich vermute, dass Henri Mitglied eines geheimen Zirkels ist. So geheim und ketzerisch, dass die Offenbarung dieses Geheimnisses den Tod auf dem Scheiterhaufen zur Folge hätte.«
Atemlos hatte Jeanne den Ausführungen Raphaels gelauscht. »Bei Gott«, hauchte sie. Offenbar wurde ihr erst in diesem Augenblick bewusst, auf welch gefährliches Unterfangen sie sich eingelassen hatte.
»Und nun helft mir«, sagte Raphael.
Jeanne packte Imbert am Kragen, sodass Raphael ihn mit einem starken Seil fesseln konnte.
»Wartet hier«, sagte Raphael. Wo war sein Vater? Er sah sich im Haus um. Dann ging er nach draußen. Hinter dem Haus fand er ihn schließlich, ebenso hinterrücks ermordet wie seine Mutter. Vorsichtig, als könnte er dem Vater noch wehtun, zog er ihn auf das Feld und legte ihn unter eine Ulme, dann ging er wieder hinein, um die Leiche seiner Mutter zu holen. Jeanne begleitete ihn mit zwei Spitzhauen. Er war sehr dankbar, dass sie kein Wort sprach, sondern ihn in aller Stille trauern ließ.
Unter der Ulme hackten sie den ganzen Nachmittag hindurch zwei Gräber in den gefrorenen Boden. Sie legten die Toten hinein und begruben sie unter der Erde, auf der sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet hatten. Raphael kniete nieder, faltete die Hände und betete. Er schloss mit den Worten: »Requiescat in pace.«
»Amen«, sagte Jeanne und bekreuzigte sich. Sie folgte Raphael zurück zum Haus. »Was geschieht nun mit diesem Imbert?«
»Den
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