Hexengericht
Belustigung. Sogar der Wirt lachte, wobei seine Mundwinkel zuckten.
Der Riese gebot seinen Männern zu schweigen. »Verzeiht, ich vergaß, mich vorzustellen«, sagte er und verneigte sich leicht. »Mein Name ist Maurice d’Aubrac, Ritter Seiner Majestät und Euer ergebenster Diener, Mademoiselle.«
Wie ein Ritter Seiner Majestät sah er nicht gerade aus, dachte Pierre. Eher wie ein Raubritter, der für Geld seine Mutter verkaufen würde.
»Ihr seid also Spielleute«, sagte d’Aubrac, wandte sich um und ging zurück zu seinem Platz. Er blickte seine Männer einen nach dem anderen an. »Wohlan, erfreut uns mit eurer Kunst.«
Pierre sah Amicus hoffnungsvoll an. Der stand auf, griff in seinen Beutel und förderte sechs Messer zutage, die er, zum Beweis ihrer Echtheit, in den Tisch rammte. »Ich brauche einen Freiwilligen«, rief er.
Einer von d’Aubracs Männern trat dem zitternden Wirt in den Hintern. »Hier hast du deinen Freiwilligen«, höhnte er, als der Wirt in die Mitte des Schankraums stolperte. Die Meute lachte.
Unter gutem Zureden platzierte Amicus den Wirt an der Wand. Dem Mann schlotterten die Knie und klapperten die Zähne. Amicus nahm etwa zwölf Schritte entfernt Aufstellung. Er legte die Messer in die linke Hand, stellte das linke Bein vor das rechte und grinste breit. Dann ging alles ganz schnell. Das Publikum sah, wie im wahrsten Sinne im Handumdrehen ein Messer nach dem anderen von Amicus’ linker Hand in die rechte schnellte, und schon sausten sie auf den kreidebleichen Wirt zu. Über und neben dem armen Mann schlugen sie krachend in die Wand. Mit beiden Händen befühlte der Wirt seinen Körper und starrte Amicus verwundert und überglücklich an. D’Aubrac und seine Männer applaudierten lachend.
»Einen wie dich können wir brauchen«, sagte d’Aubrac. »Schließ dich mir an. Es soll dein Nachteil nicht sein. Du bekommst alles, was du willst. Gold, Ruhm, Weiber!«
Für einen Moment schien Amicus zu wanken. Er blickte zu Pierre und Luna, dann zu d’Aubrac.
»Ich bleibe bei meinen Freunden«, sagte Amicus. »Sie brauchen mich.«
»Überleg es dir«, sagte d’Aubrac. Dann wandte er sich Luna zu. »Mademoiselle, sagt, welche Kunststücke beherrscht Ihr?«
Erschrocken wollte Pierre d’Aubrac entgegnen, dass Luna keine besondere Kunst beherrschte. Dass sie nur seine kleine Schwester wäre oder so etwas. Aber Luna kam ihm zuvor: »Ich sehe die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.«
Jetzt ist alles zu spät, dachte Pierre. Die Männer würden sie alle hängen, vierteilen und verbrennen. So beobachtete er besorgt, wie d’Aubrac zu Luna hinüberstapfte. Er griff nach einem Stuhl und setzte sich Luna gegenüber an den Tisch.
»Deine Männer sollen den Raum verlassen«, sagte Luna.
D’Aubrac stutzte. »Was habt Ihr gesagt?«
»Du hast mich schon verstanden«, sagte Luna.
»Ihr glaubt doch nicht, dass ich ohne jeden Schutz allein hier sitzen bleibe!«
»Dein Gold ist hier sicher – und du bist es auch. Deine Männer bleiben in der Nähe.«
»Ich verzichte eher auf Eure Weissagungen, als dass ich meine Männer fortschicke«, entgegnete d’Aubrac und stand auf.
Luna erhob sich ebenfalls. Sie beugte sich über den Tisch zu ihm hin und flüsterte: »Dann wirst du noch in dieser Nacht sterben.«
D’Aubrac sank zurück auf den Stuhl. »Verlasst den Raum«, rief er seinen Männern zu. »Alle! Und nehmt die Huren mit!«
Niemand protestierte. Der Respekt der Horde ihrem Anführer gegenüber war zu groß. Nacheinander verließen sie den Schankraum, nur einer zögerte, ein Mann mit roten Haaren und einer Augenklappe.
»Du auch, Basile«, befahl d’Aubrac. »Geh zu den anderen.«
»Du bist sehr unvorsichtig«, erwiderte Basile. »Lass mich bei dir bleiben.«
»Geh, Basile«, befahl d’Aubrac erneut. »Mir wird kein Leid geschehen.«
Es schien, als wollte Basile gegen seinen Herrn aufbegehren, jedoch gehorchte er schließlich murrend.
»Und nun hör mir zu«, sagte Luna, als sie endlich allein waren.
»Ich höre.«
»Einer deiner Getreuen ist ein Verräter«, sagte Luna. »Er will dich noch in dieser Nacht töten und mit der Beute verschwinden.«
»Ihr spielt ein gewagtes Spiel«, sagte d’Aubrac. »Meine Männer sind mir treu ergeben. Jeder von ihnen würde sein Leben für meines geben. Also passt auf, was Ihr sagt.«
Luna schmunzelte. »Du hast Recht. Bei Crécy warf sich der kleine Henriot zwischen dich und einen englischen Bogenschützen. Der Pfeil durchbohrte
Weitere Kostenlose Bücher