Hexengericht
zuerst sah, war ein kleiner rundlicher Mann, der auf einem Holzgerüst saß und die Wände mit Fresken verzierte. Wahrlich beeindruckenden Fresken. In strahlenden Farben warf der Meister Jagd- und Fischfangszenen in einer Pracht an die Wände, dass es Raphael den Atem verschlug. Lebensechte Wölfe, Füchse, Enten und Schwäne prangten neben Jägern und Fischern. Gerade arbeitete der Künstler an einem bunt bekleideten Jägersmann, der einen Falken auf einer Hand trug. Zu seinen Füßen witterten zwei Hunde nach der Beute.
Der kleine dicke Mann hatte den Fremden offenbar bemerkt. Er wandte den Kopf. »Wer da?«
»Nur ein Mönch«, sagte Raphael.
Der Maler stieg herab und ging zu Raphael hinüber. »Seid gegrüßt«, sagte er. »Ich bin Matteo Giovanetti, päpstlicher Hofmaler.«
Raphael faltete die Hände. »Gott mit Euch. Mein Name ist Raphael.«
»Was führt Euch her, Bruder Raphael?«, fragte Giovanetti. »Ich glaube, ich habe Euch noch nie hier gesehen.«
»Ich komme von weit her, Maître Giovanetti«, sagte Raphael. »Ich bin in dringender Mission unterwegs und muss unbedingt den Heiligen Vater sprechen. Leider kenne ich mich im Palast nicht gut aus.«
Giovanetti lachte. »Und doch habt Ihr die Gemächer des Papstes gefunden. Dies ist die Chambre du Cerf.«
Erst jetzt bemerkte Raphael das Bett, die voll gestellten Bücherregale an den Wänden, mehrere mit Seide umhüllte Kisten, aus denen Wäschestücke heraushingen, und einen großen Tisch, um den herum Stühle mit dem päpstlichen Emblem standen.
»Wo kann ich den Heiligen Vater finden? Erwartet Ihr ihn bald hier zurück?«, fragte Raphael.
»Der Papst weilt dieser Tage in Avence«, antwortete Giovanetti. »Man erwartet ihn und einen Teil der Kurie im Herbst zurück. Hat man Euch davon nicht unterrichtet?«
Unter Raphael begann der Boden zu schwanken. All die Mühen auf dem langen Weg von Rouen hierher, um Clemens über Henris Machenschaften in Kenntnis zu setzen, und nun war der Papst geflohen. Es war zum Verzweifeln.
»Bruder Raphael«, sagte Giovanetti. »Ist Euch nicht wohl?«
»Doch, doch«, beeilte sich Raphael zu sagen. »Mir geht es gut. Ich denke, ich suche Kardinal Aubert auf. Er ist doch hier?«
Giovanetti nickte. »Ihr findet den Kardinal wohl im Ostflügel.«
Raphael versicherte den Meister seines Dankes und verließ das Zimmer. Im Audienzsaal beschleunigte er seinen Schritt. Er riss die schwere Tür auf – und stieß mit einem Mönch zusammen, der kaum älter war als er selbst.
»Oh!«, rief der Mönch. Er trug den Habit der Dominikaner.
»Verzeih, Bruder«, sagte Raphael.
»Du scheinst in Eile«, sagte der Mönch. »Darf ich dir meine Hilfe anbieten.«
Raphael sagte hastig: »Ich suche Kardinal Aubert. Wo finde ich ihn?«
Der Mönch schien die Dringlichkeit zu bemerken. »Folge mir«, sagte er.
Der junge Ordensbruder führte Raphael durch Gänge und Hallen, über Treppen, durch Loggien und ausgedehnte Gebäudetrakte. Vor einer unscheinbaren Tür blieb er stehen. »Hier ist der, den du suchst, Bruder Raphael.«
Raphael nickte dankbar, stutzte dann aber. »Woher kennst du meinen …«
Weiter kam er nicht. Die Tür ging auf. In einem hell erleuchteten Raum, am Ende einer langen Tafel saß eine Gestalt. »Imbert!« Raphael merkte nicht, dass er vor Schreck den Namen ausgerufen hatte. Sofort eilten Wachen herbei. Sie packten Raphael, schleppten ihn zu Imbert und stießen ihn vor dem Inquisitor zu Boden.
»Hab ich dich«, sagte Imbert.
»I in malam crucem!«, fluchte Raphael.
Imbert lachte auf. »Nicht ich werde an den Galgen gehen, sondern du wirst auf den Scheiterhaufen kommen.«
»Deine Tage sind längst gezählt«, gab Raphael zurück.
Imbert schien zu überlegen. »Oh, du meinst dieses Weib, das mit dir kam.«
»Sie ist über alles im Bilde.«
Wieder lachte Imbert auf. »Bringt die Hure herein!«, befahl er zwei Wachen.
Wenig später erschienen sie wieder. Vor sich her trieben sie die in Ketten gelegte Jeanne Gousset.
»Madame Gousset!«, rief Raphael.
»Es geht mir gut«, sagte Jeanne und warf Imbert einen zornigen Blick zu.
»Habt gedacht, ihr hättet mich ausgeschaltet«, höhnte Imbert. »Habt gedacht, ihr wäret schlauer als ich und könntet den Papst mit euren törichten Lügen blenden. Ha!« Er stand auf. »Schaut euch an. Ein winselnder Haufen Nichts. Kaum das Holz wert, das euch morgen verbrennen wird.«
Raphael war keineswegs gewillt, sich einschüchtern zu lassen. »Ich fordere die Einberufung der
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