Hexengericht
du, dass du dir herausnimmst, in diesem Ton mit mir zu sprechen?«
Der Ritter öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus. Dafür griff der andere ein. »Hast du eine Legitimation? Einen Passierschein? Falls nicht, kommst du hier nicht herein!«
Jetzt wurde Raphael wütend. »Du wagst es, mich wie einen Gossenjungen anzusprechen?«, fauchte er. »Die korrekte Anrede lautet Bruder ! Das sollte von der Wache des Papstes zu erwarten sein!«
Die zwei Ritter sahen betreten zu Boden. »Verzeiht, Bruder«, sagten sie im Chor.
»Und nun lasst mich hinein«, verlangte Raphael.
Wieder hoben die Ritter ihre Lanzen. »Wir dürfen Euch ohne Legitimation keinen Einlass in den Palast gewähren, Bruder.«
»Meine Zugehörigkeit zum Orden ist meine Legitimation«, sagte Raphael. »Mein Glaube der Schlüssel zu diesen Toren. Lasst mich sofort ein!«
»Wir haben Order, niemanden in den Palast zu lassen, der sich nicht legitimiert.«
Raphaels Gesicht färbte sich rot. »Ich muss unverzüglich mit Seiner Eminenz Kardinal Aubert sprechen«, sagte er ruhig. Er hielt es für klüger, seine Absicht, mit dem Heiligen Vater selbst zu sprechen, vorerst zu verheimlichen.
Doch die Ritter hielten das Portal versperrt.
Raphael atmete tief durch. »Ich bin im Besitz von Informationen«, sagte er, »die auf ein baldiges Attentat auf den Heiligen Vater schließen lassen. Seine Eminenz muss davon Kenntnis erhalten.« Dann fügte er lauter hinzu: »Geht beiseite oder ihr werdet noch in dieser Nacht auf dem Weg nach Königsberg sein und gegen die heidnischen Litauer kämpfen. Das verspreche ich euch bei Gott!«
Endlich traten die Männer zur Seite und Raphael schritt an ihnen vorbei.
Im Inneren des Palastes angekommen, überlegte Raphael, was er als Nächstes tun sollte. Er wusste kaum etwas über die Architektur des Palastes, noch kannte er mehr als eine Hand voll Bewohner beim Namen. Den Heiligen Vater um diese Zeit in den Gängen und Sälen anzutreffen war äußerst unwahrscheinlich. Er musste entweder auf ein bekanntes Gesicht stoßen oder beim niederen Gesinde einen wichtigen Gesandten mimen, der sich verlaufen hat.
Raphael hielt sich rechts und rief sich dabei die wenigen Fakten in sein Gedächtnis, die er aus Erzählungen über den Palast kannte. Der Palast war ehemals der Bischofspalast von Avignon gewesen. Nachdem Clemens V. im Jahre 1309 Avignon dem unsicheren Rom vorgezogen hatte, begann der Ausbau des Bischofspalastes. Fünfzehn Jahre später begann an dieser Stelle der Bau des neuen Palastes. Um einen großen Kreuzgang hatten die Baumeister in allen vier Himmelsrichtungen Gebäude gruppiert. Im Osten den Konklaveflügel für die Gäste des Heiligen Stuhls, im Süden das Konsistorium, im Westen den für die Familiaren bestimmten Trakt, im Norden die große Kapelle und den Tour de la Campagne. Raphael wusste, dass der amtierende Papst Clemens VI. zwei oder drei Jahre zuvor im Süden einen weiteren Gebäudetrakt, das Palais Neuf, hinzufügen ließ. Dorthin ging er nun, denn er vermutete, dass im Palais Neuf die Gemächer des Heiligen Vaters lagen.
Raphael ging durch einen langen Gang über einen Boden aus blankem Marmor. Bei jedem Schritt hallte das Echo seiner Sandalen von den Wänden und der hohen spitzbogigen Decke wider. Dort oben fiel schimmerndes Mondlicht durch bunt bemalte Glasfenster und beleuchtete schwach die farbigen Fresken an den Wänden. Ab und zu standen links und rechts des Gangs brennende Kerzen.
Vor einer schweren hohen Tür blieb Raphael stehen. Er hatte das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Ein Blick zurück aber zeigte ihm, dass er allein war. Vorsichtig drückte er die Klinke nach unten und öffnete die Tür einen Spalt. Niemand zu sehen. Er öffnete die Tür etwas weiter, schlüpfte hindurch und schloss sie ebenso leise. Er war in einem riesigen Saal, offenbar dem großen Audienzsaal. Hier tagte auch das päpstliche Gericht, die Rota. Die Decke war hier nur etwa halb so hoch wie in dem Gang. Sie ruhte auf fünf mächtigen, sich nach oben verbreiternden Säulen. Am Ostende führten mehrere Stufen zum Altar, davor stand der Papstthron.
Ehrfürchtig durchschritt Raphael den Audienzsaal. An der Nordseite entdeckte er eine weitere Tür, die in einen kleineren Raum führte. Die Decke hier war noch niedriger, die Proportionen waren gleichmäßiger. Dieser Raum war hell erleuchtet, und Raphael schloss unwillkürlich die Augen. Nur langsam gewöhnten seine Augen sich an die plötzliche Helligkeit. Was er
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