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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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der Stadtmauer hindurch und hinüber in den Wald. Wir gehen hier weiter bis zum Herz des Palastes.«
    »Ich gehe voran und leuchte euch den Weg«, sagte Amicus.
    Sie kamen nur langsam vorwärts. Nach kurzer Zeit schmerzte Pierre der Rücken ob der gebeugten Haltung. Immer wieder stieß er mit dem Kopf hart gegen das Gewölbe. Seit Ewigkeiten mochten diese Mauern keines Menschen Seele mehr gesehen haben. Es waren kaum Rußspuren an den Wänden zu entdecken, in der dichten Staubschicht auf dem Boden sah er keine Fußabdrücke. Die Schmerzen in Rücken und Nacken trieben ihn fast zur Raserei. Schon wollte er um eine Rast bitten, als Amicus stehen blieb. Vor ihnen ragte eine Wand mit Steigeisen in die Höhe.
    »Hinauf«, flüsterte Luna. »Aber seid leise.«
    Amicus übergab Pierre die Fackel und stieg hoch. Pierre hörte, wie Amicus weiter oben vorsichtig eine Falltür öffnete. Kurz darauf bedeutete er Pierre und Luna, ihm zu folgen.
    Oben angekommen, herrschte Amicus Pierre an. »Weg mit der Fackel!« Unverzüglich warf Pierre die Fackel zurück in die Tiefe. Er sah sich um. Sie waren in einer fensterlosen Kammer, in der unzählige alte Truhen standen. Die Tür zu der Kammer war verschlossen. Durch eine kleine Sichtöffnung in der Tür drang schwacher Lichtschein zu ihnen herein. Es roch nach faulem Holz.
    Amicus spähte durch die Öffnung. »Niemand zu sehen«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Was nun?«
    »Wir warten«, sagte Luna. Sie setzte sich auf eine der Truhen, nahm ihren Beutel von den Schultern, bat Amicus um ein Messer und schnitt jedem von ihnen eine Scheibe Brot und ein großes Stück Schinken ab.

    Als Raphael und Jeanne Gousset am Abend Avignon erreichten, bot sich ihnen das gleiche Bild wie Luna, Pierre und Amicus einige Stunden zuvor. Über die Brücke strömten die Menschen aus der Stadt heraus. Einige sahen die beiden Reisenden auf ihren Pferden mitleidig an, andere warfen ihnen spöttische Blicke zu. Die meisten jedoch nahmen keine Notiz von ihnen. Sie waren nur froh, dem schwarzen Tod entkommen zu können.
    »Die Pest hat Avignon fester im Griff, als ich angenommen habe«, flüsterte Raphael Jeanne zu.
    An den Stadtwachen kamen sie ohne Schwierigkeiten vorbei. Hinter den starken Mauern packte Raphael das blanke Entsetzen. Welch Sündenpfuhl war die Stadt, in der der Heilige Vater residierte? Überall in den Straßen und offenen Fenstern sah man Frauen, so spärlich bekleidet, dass die Umrisse des nackten Körpers durchschienen. Durch die eng anliegende Kleidung konnte man ihr Geschlecht erkennen. Zudem hatten die Gewänder so weite Ausschnitte, dass die Brüste fast völlig entblößt waren. Die Röcke der Jünglinge waren so kurz, dass sie ihr Gemächt und Gesäß kaum mehr verhüllten. »Sodom und Gomorrha«, flüsterte Raphael fassungslos. »Schaut nicht hin, Madame.«
    Aber sie lachte nur. »Gewiss wird es in der Nähe des Heiligen Stuhles keuscher zugehen.«
    Raphael trieb sein Pferd an und vertiefte Jeanne in ein belangloses Gespräch, damit sie nicht in Versuchung geriet, diesem schamlosen Treiben Beachtung zu zollen.
    Der Papstpalast lag nun unweit in südlicher Richtung. Auf dem Place du Palais angekommen, sagte Raphael: »Madame, Ihr wartet hier. Es ist sicherer, wenn ich allein gehe.«
    Jeanne griff Raphaels Hand. »Seht Euch bitte vor, Bruder. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, Euch dort allein zu wissen.« Sie deutete mit dem Kopf zum Palast hinüber.
    Raphael nickte, saß ab und gab ihr die Zügel seines Pferdes. Dann ging er über den ausgedehnten Platz. Ein Totengräber, der kräftig die Totenglocke schwang, kam ihm entgegen. Ein Helfer zog den Karren, auf dem ein halbes Dutzend Leichen lagen.
    An der Westseite des monumentalen Bauwerks, das gut und gern die Ausmaße von vier Kathedralen besaß, stieg er über einige Stufen zum Palasttor hinauf. Vor dem Tor versperrte ihm die Palastwache den Weg. Zwei grobschlächtige Burschen hielten ihm ihre Lanzen an die Brust. Sie trugen weiße Mäntel mit schwarzen Kreuzen, Erkennungszeichen der Ritter des Deutschordens. Raphael konnte ihre Gesichter durch den Helm nicht erkennen. Nur ihre Bärte schauten darunter hervor.
    »Was ist dein Begehr?«, fragte der eine.
    Raphael zitterten die Knie und sein Magen war schwer wie Blei. Doch eine dermaßen unverschämte Despektierlichkeit durfte er nicht hinnehmen, wollte er seine Mission nicht gefährden. Er packte die Lanze und schob sie zur Seite. Dann trat er dicht vor den Ritter. »Wer bist

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