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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Flüchtenden auf. Raphael wagte keinen Blick zurück. Er vertraute Lunas Gabe und darauf, dass sie sie alle sicher führte.
    Dort, wo Luna, Pierre und Amicus Stunden zuvor hinuntergestiegen waren, kletterten sie wieder hinauf. In dem alten Gemäuer angekommen, sagte Luna: »Wir haben drei Pferde. Sie sind stark genug, uns alle aus der Stadt zu tragen.«
    »Nein!«, rief Jeanne dazwischen. »Ich gehe nicht ohne Giacomo!«
    »Wer zum Teufel ist Giacomo?«, fragte Amicus.
    »Mein Pferd«, erklärte Jeanne. Sie verschränkte die Arme und hob das Kinn.
    »Und wo ist der Gaul?«, fragte Amicus weiter.
    »Dort, wo ich ihn zurücklassen musste«, sagte Jeanne. »Vor dem Palast.«
    Amicus stöhnte auf. »Herr im Himmel!«
    »Madame«, sagte Raphael. »Es ist in der Nähe des Palastes zu gefährlich. Wir können Euch ein anderes Pferd erstehen.«
    »Nein, nein, nein«, gab Jeanne zurück. »Ich lasse Giacomo nicht zurück. Nie und nimmer! Außerdem …« Sie lächelte siegessicher. »Er trägt die Satteltaschen mit unserem Geld auf dem Rücken.«
    Raphael unternahm einen weiteren Versuch, Jeanne von dem mörderischen Vorhaben abzubringen. »Ihr glaubt doch nicht, dass es immer noch da ist. Irgendwer hat es bestimmt geraubt.«
    Stille. Dann sprach Luna: »Sie sind noch da. Aber womöglich nicht mehr lang.«
    Raphael sah Luna und ihre Freunde fragend an, woraufhin Luna und Pierre den Hünen Amicus anstarrten. »Zum Teufel!«, brummte der. »Holen wir uns den Klepper.«
    Dicht an den Hausmauern entlang liefen sie durch Avignons dunkle, enge Gassen. Was Raphael zuvor nicht aufgefallen war, überfiel ihn nun mit großer Wucht: süßlich stechender Verwesungsgeruch. Hinter den vielen Fenstern mussten hunderte Leichen liegen. Hier, in den schmalen Winkeln der Stadt, hielt sich der bestialische Gestank dicht über dem Boden. Raphael war es speiübel. Den anderen erging es nicht besser. Ihre Gesichter erschienen im Licht der Laternen weiß wie Milch und grün wie Schimmel zugleich.
    Am Ende einer dieser fürchterlichen Gassen war eine breite Querstraße zu erkennen. Der junge Pierre wollte mit letzter Kraft dorthin laufen, aber Luna hielt ihn zurück. »Vorsicht!« Sie drückten sich an die feuchten Mauern.
    Keinen Augenblick zu früh. Eine Horde Deutschordensritter zu Pferde preschte an ihnen vorbei. Offenbar hatte Imbert mit seiner Legitimation als Inquisitor die Männer verpflichtet, ihn bei der Jagd auf die Ketzer zu unterstützen.
    »Weiter«, flüsterte Luna, nachdem die Ritter fort waren.
    Geduckt rannten sie die Straße hinunter, bis sie zu einem Brunnen auf einem kleinen Platz kamen. Hier war der Verwesungsgestank noch heftiger. Raphael blickte in den Brunnen. Ihm stockte der Atem. Er sah aufgetürmte Leichen, bis fast an den Brunnenrand. Fliegenschwärme schwirrten um die offenen Münder. Maden und Würmer krochen über die Leiber und aus den leeren Augenhöhlen. Er hielt sich Mund und Nase zu und wandte sich ab.
    »Hier entlang«, sagte Luna. Sie deutete in eine Straße hinein.
    Gelegentlich stießen sie auf Patrouillen, denen sie aber rechtzeitig auswichen. Dann lag der Palast des Papstes vor ihnen. Raphael spähte um eine Häuserecke. Es standen nur vereinzelte Posten vor dem Palast. Offenbar ging Imbert davon aus, dass sie fliehen würden, nicht, dass sie zurückkamen. An der Südwand entdeckte Raphael sein Pferd und Giacomo. »Hier sind sie«, gab er nach hinten weiter. Er hörte, wie Jeanne aufatmete.
    »Lasst mich sehen, Bruder«, sagte Amicus. Er schob sich an Raphael vorbei. Eine Weile nahm er die Umgebung in Augenschein. Als er sich wieder umwandte, lächelte er breit. »Ich sehe fünf Wachen. Drei oben am Tor, die uns kaum entdecken können. Zwei Männer stehen bei den Pferden. Ich denke, dass ich nahe genug herankomme, um sie auszuschalten. Wartet auf mich.« Auf Zehenspitzen pirschte Amicus sich heran. Kein Lichtschein drang bis zu ihm, er war also vorerst sicher.
    »Ihr benötigt meine Hilfe jetzt nicht mehr«, sagte Luna. »Pierre und ich gehen zurück zu unseren Pferden. Reitet durch das Osttor und dann in den Wald. Haltet euch südlich, bis ihr an eine verfallene Mühle kommt. Dort treffen wir uns.«
    Raphael nickte. »Gott mit euch.«
    Nachdenklich sah Jeanne den beiden nach. »Ein seltsames Geschöpf.«
    »Sie ist gewiss der ungewöhnlichste Mensch, den Ihr je getroffen habt, Madame«, sagte Raphael. »Sie hat erstaunliche Kräfte.«
    Amicus nahm Raphaels Aufmerksamkeit in Anspruch. Nur schwer war der

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