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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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hineinströmten. Dabei schienen es keineswegs Händler und Bauern zu sein, die von den Märkten kamen. Vielmehr flüchteten hier die Bürger mit Sack und Pack. Wer keinen Pferdewagen, nicht einmal einen Karren, sein Eigen nennen konnte, der schleppte seine Habseligkeiten auf den Schultern hinfort.
    Vom Rücken seines Pferdes blickte Pierre in panische, erschöpfte oder starre Gesichter. Kinder schrien und versuchten verzweifelt, mit ihren Eltern Schritt zu halten. Wer dies nicht konnte, blieb zurück.
    »Was ist hier los?«, fragte Pierre den neben ihm reitenden Amicus. Der schüttelte ratlos den Kopf.
    Nach dem mühevollen Ritt über die Brücke erreichten sie bald die Stadtmauer. Die Stadtwachen am Tor ließen die Ankömmlinge wortlos passieren.
    An die Mauer gelehnt, saß ein dürrer Mann, der einen verwirrten Eindruck machte. In der Hand hielt er einen Krug, aus dem er immer wieder einen Schluck nahm. Dazu sang er aus voller Kehle: »Avignon in Not, Avignon in Not. In Avignon reitet der Tod – Falara falara falara.«
    »Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Pierre nun Luna.
    »In Avignon wütet die Pest«, antwortete sie.
    Amicus rang nach Atem. »Zum Teufel!«, fluchte er. »Du führst uns sechs Wochen lang kreuz und quer durch Frankreich bis hierher in diese Pesthölle?«
    »Dir wird kein Leid geschehen«, sagte Luna.
    Amicus biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. Er wollte etwas erwidern, schluckte dann aber seine Entgegnung hinunter.
    Pierre fächelte sich mit einer Hand Luft zu. »Es stinkt erbärmlich!«
    »Wohl der Pesthauch«, spottete Amicus.
    »Eher der Unrat auf den Straßen«, meinte Luna.
    An den Türen vieler Häuser prangte ein Kreuz aus roter Farbe. Davor standen finster dreinblickende Wachen. »Wozu dienen die Kreuze?«, wollte Pierre von Luna wissen.
    »In diesen Häusern hält man die Familien der Erkrankten fest«, erklärte Luna. »Vierzig Tage lang darf niemand diese Häuser betreten oder verlassen. Darauf achten die Wachen Tag und Nacht.«
    »Woher bekommen diese Leute dann zu essen?«, fragte Amicus.
    »Dafür sind auch die Wachen verantwortlich.«
    Gebannt starrte Pierre auf die vielen Kreuze. Er blickte die Straße hinauf. Rote Kreuze überall. »Wohin jetzt?«, fragte er.
    »Wir begeben uns in den Papstpalast«, sagte Luna, und Amicus stöhnte auf.
    »Jesus Christus!«, rief er und streckte die Hände gen Himmel. »Lass mich einfach hier sterben!«
    Luna schnalzte mit der Zunge, und ihr Pferd fiel in leichten Trab. Sie führte ihre Freunde an der Mauer entlang, bis sie am gegenüberliegenden Punkt des Tores waren. Hier stiegen sie ab und machten ihre Pferde fest. Nun weiter durch enge Gassen, in denen unheimliche Todesstille herrschte. Vor einem verfallenen Gebäude machte sie Halt. Inzwischen war die Sonne untergegangen.
    »Das ist nicht der Palast«, wunderte sich Pierre.
    »Offensichtlich«, lächelte Luna. Sie öffnete die Tür. Staub und der Geruch von vermodertem Holz schlugen ihnen entgegen. Auf einem Tisch sah Pierre die Umrisse einer Fackel. Er reichte sie weiter an Amicus, der sie entzündete. Der fahle Schein tauchte den Raum in dämmriges Licht. Bis auf den Tisch, zwei umgestürzte Stühle und ein paar Spinnweben war hier nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Warum brachte Luna sie hierher?
    »Kommt weiter«, sagte Luna. Sie ging durch eine Tür in ein leeres Hinterzimmer. »Öffnet die Falltür.«
    Hinter ihr betrat Pierre den Raum. »Welche Falltür?«, wollte er wissen, doch da stolperte er schon und fiel hin.
    »Du hast sie gefunden«, lachte Luna.
    Pierre fand den eisernen Griff der Bodenluke und zog daran. Er starrte in ein finsteres Loch und zögerte. »Da sollen wir hinunter?«
    Luna nickte und stieg als Erste hinunter. Über Steigeisen an der Wand des Schachtes glitt sie langsam in die Tiefe. Pierre trat von einem Bein aufs andere. Doch schließlich siegte der Beschützer in ihm. Er atmete tief durch und folgte Luna in die schier unendliche Dunkelheit.
    »Noch drei Stufen.« Lunas Stimme klang nah. Mit zittrigen Beinen erreichte Pierre festen Boden. Kurz darauf war Amicus mit der Fackel bei ihnen. Hier unten erstreckte sich ein Gang, der so niedrig war, dass sie nur gebückt gehen konnten.
    »Was zur Hölle ist das?«, fragte Amicus.
    »Dies sind die Katakomben unterhalb des Palastes«, erklärte Luna. »Sie dienen dem Papst als Fluchtweg im Falle einer Belagerung oder eines Angriffs.« Sie deutete in eine Richtung. »Dort entlang geht es weiter unter

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