Hexengericht
Geheimnis der Heilung kennt, warum helft Ihr dann nicht? Ihr könntet tausende Leben retten.«
Schlagartig verfinsterte sich Judas Gesicht. »Ich habe es versucht. Gott weiß, dass ich es versucht habe. Aber sie haben mich fortgejagt. Mich geschlagen und getreten. Meine Frau und meinen Sohn …« Er stockte. »Sie haben das mir Liebste auf Erden genommen. Erschlagen und verbrannt.«
Entsetzt und voller Mitgefühl für diesen guten Mann stand Raphael auf und schob das Buch Salomons in das Regal zurück. »Ich dachte, Pogrome kämen nur im Norden vor.«
»O, es war bei Gott kein Pogrom«, sagte Juda. »Es ging nicht um die Religion. Die war den Wahnsinnigen ganz gleich. Die Pest raubte ihnen den letzten Rest an Verstand. Es hätte genauso gut Scherenschleifer, Grafen oder Bischöfe treffen können.«
Gern hätte Raphael mehr über die Umstände erfahren, er wollte aber nicht unhöflich sein. So starrte er unschlüssig das Bücherregal an.
Juda überspielte die Stille mit einem freundschaftlichen Lächeln. Dann sagte er: »Lasst uns zurück in das Laboratorium gehen. Auf dass der Zauber gelingen möge.«
In der Tat erschien Raphael die Heilung des schwarzen Todes wie Zauberei. In ehrfürchtigem Abstand folgte er Juda in das alchimistische Laboratorium.
Juda griff nach einem Biberfell und legte es um den Henkel des Kessels. Bevor er ihn vom Feuer nahm, rührte er kräftig um und roch an den Schwaden. Zufrieden stellte er den Kessel auf den Tisch. Aus einem Fach unter dem Tisch zog er einen Tonkrug hervor. Darüber setzte er ein Sieb, durch das er vorsichtig den Sud goss. Die Flüssigkeit hatte die Farbe von morastigem Wasser – und genauso roch sie auch. Juda ließ den ganzen Sud in den Krug laufen. Danach kratzte er den Kessel mit einem Spatel aus, bis auch der letzte Rest der breiigen Rückstände das Sieb füllte. Als kein Tropfen mehr in den Krug fiel, leerte er das Sieb in einer Holzschale aus. Nochmals roch er an dem Sud, nahm einen Löffel und probierte einige Tropfen. Er schien angestrengt nachzudenken, nahm dann mehrere Fläschchen zur Hand und gab aus jedem einige Tröpfchen in den Krug. Er rührte kräftig um und probierte erneut. »Consummatum est« , sagte er lächelnd. »Es ist vollbracht.«
»Ihr sprecht die Worte Jesu?«, wunderte sich Raphael.
»Warum nicht?«, fragte der Medicus. »Schließlich war er Jude.«
Raphaels Respekt vor Juda wuchs. Da stand dieser alte, weise Mann vor ihm, dessen Familie wie viele andere aus seinem Volke im Namen Christi verfolgt und hingerichtet wurde. Und mit nur einem einzigen Satz sprang er über alle religiösen Barrieren hinweg. Raphael verneigte sich tief.
»Warum verneigt Ihr Euch?«, fragte Juda, den dampfenden Krug in Händen haltend.
»Weil ich durch Euch geehrt bin«, sagte Raphael.
»Ach was.« Juda winkte ab. »Besser, Ihr folgt mir nach oben. Dort liegt jemand, der unsere Hilfe benötigt.«
Raphael öffnete die Tür. »Nach Euch.«
Mit schnellen Schritten gingen sie durch das Haus und die Stufen hinauf. Sie fanden Luna fiebernd, aber tief schlafend in ihrem Bett vor.
»Hebt ihren Kopf an«, bat Juda.
Raphael setzte sich auf die Bettkante, schob sanft eine Hand unter ihren Kopf und hob ihn leicht an.
»Etwas höher«, sagte Juda. Er nahm ein Glas, das so groß war wie ein Hühnerei, und goss ein wenig von dem Trank hinein. Er hielt das Glas an Lunas Lippen und goss den ganzen Inhalt in ihren Mund. Damit sie die Medizin nicht wieder ausspuckte, drückte Juda ihren Unterkiefer nach oben.
»Hat sie es geschluckt?«, fragte Raphael.
Ohne den Blick von Luna zu wenden, antwortete Juda: »Ihre Heilung hat begonnen.«
Zärtlich streichelte Raphael über Lunas heißes, rot glänzendes Gesicht. »Wie geht es nun weiter?«
»Wir müssen uns um die Beulen und Bubonen kümmern. Bitte bringt mir den Extrakt aus dem Sieb, Bruder Raphael.«
»Sofort«, sagte Raphael, lief hinaus und holte die Holzschale aus dem Laboratorium. Den Spatel legte er dazu. Gerade als er die Treppe hinaufhasten wollte, flog die Eingangstür krachend auf. Amicus! Und auf den Armen trug er – Pierre! Halb nackt, blutüberströmt, der ganze Körper von Schürfwunden gezeichnet. Offenbar war er ohne Bewusstsein.
Fast hätte Raphael die Schale fallen lassen. »Allmächtiger!«, rief er. »Was ist mit dem Burschen geschehen?«
»Man hat ihn verprügelt und ausgeraubt«, keuchte Amicus.
»Schafft ihn nach oben in Lunas Zimmer«, sagte Raphael und machte den Weg frei.
»Hier ist
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