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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Erlaubt mir, das Kind zu untersuchen.«
    Raphael machte dem Medicus Platz. Mit geübten Fingern tastete er an Lunas Hals entlang, drückte hier und knetete dort. Dann entdeckte er die Wunde an ihrer linken Schläfe. »Man hat sie zur Ader gelassen?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Ein Medicus in Lunel hat sie behandelt«, antwortete Raphael.
    Murmelnd fuhr Juda mit der Untersuchung fort. Er öffnete Lunas Gewand und strich über die Beulen in den Achselhöhlen. Er merkte auf. Tiefe Falten traten auf seine Stirn. Er öffnete das Kleid etwas weiter. »Söhne Abrahams!«, rief er aus. »Was hat dieser Samardaki ihr nur angetan?«
    »Er hat sie gebrannt«, sagte Raphael. Er starrte betreten zu Boden. »Wir konnten Schlimmeres verhindern.«
    »Euch ist kein Vorwurf zu machen«, sagte Juda. »Lasst mich raten: Er hat von den vier Säften und derlei Firlefanz geschwatzt. Von Galen, Hippokrates und anderen gelehrten Meinungen fabuliert.«
    »So war es«, sagte Raphael.
    »Ihr habt ihn hoffentlich nicht entlohnt?«
    »Ich fürchte, allzu reichlich.«
    Wieder murmelte Juda etwas Unverständliches. »Es ist gut. Die Pest ist weit fortgeschritten in diesem jungen Leib. Aber meine Medizin treibt sie wieder hinaus. Wollt Ihr mich begleiten?«
    »Gern, Juda.«
    Der Medicus führte Raphael nach unten in das fensterlose Laboratorium. Ein sonderbarer Raum. Tischreihen an jeder Wand, auf denen seltsame Apparaturen standen, deren Bedeutung Raphael verborgen blieb. Eine bestand aus vier übereinander angeordneten, bauchigen Gefäßen aus Kupfer. Unter dem untersten Gefäß, in dem es brodelte, stand eine brennende Kerze. Darüber befand sich ein Aufsatz, durch dessen schnabelförmige Öffnung ein Destillat in ein Auffanggefäß tropfte. Überall blubberte und kochte es. Die Luft war geschwängert von Kräuterdüften, Salpeter, Salmiak und Kienspanrauch. Auf den Tischen und in den Regalen entdeckte er Behältnisse unterschiedlichster Art: Büchsen, Kannen, Schalen, Ampullen, Phiolen und Flaschen aller Größen und Materialien. Zum einen verwahrten sie die vielfältigsten Zutaten für Judas Mixturen wie Kräuter, Pilze, Blätter oder Baumrinde. Zum anderen beinhalteten sie die fertig gestellten Essenzen, Therapeutika, Präparate, Tinkturen und Liquores.
    Juda leerte den Beutel auf einem Tisch aus.
    Raphael trat heran und besah sich die weißen Kügelchen. »Das ist Schimmel.«
    »Schimmel? Welch ordinäres Wort für dieses Geschenk Gottes.« Juda streichelte zärtlich über die Pilze. »Nennt es Gold, denn es ist wertvoller als alles andere auf Erden. Nennt es Liebe, denn es heilt die schlimmsten Wunden. Nennt es den Odem des Herrn, denn es schenkt reines Leben. Nur nennt es nicht Schimmel, lieber Raphael.«
    Lächelnd verneigte sich Raphael. »Was geschieht nun?«
    »Es bedarf zügiger und genauer Verarbeitung«, antwortete Juda. Er legte die Pilze in einen Mörser und zerstieß sie. Dann fügte er frische Rosenblätter hinzu, die er ebenfalls zerkleinerte. Noch die eine oder andere Zutat, die Raphael nicht kannte, und eine rosafarbene Substanz entstand. »Jetzt muss es eine Stunde sieden.«
    Begleitet von Raphaels neugierigen Blicken, schüttete Juda die Substanz in einen kleinen Kupferkessel. Er gab einen Becher Wasser hinzu und rührte kräftig um. Dann hängte er den Kessel über die rot glühende Feuerstelle. Schon stiegen feine Dampfschwaden empor.
    »Ich würde gern etwas ruhen, bis der Sud bereit ist«, sagte Raphael. »Bitte erlaubt mir, mich zurückzuziehen.«
    »Es sei Euch gestattet«, sagte Juda. »Gleich nebenan findet Ihr meine bescheidene Bibliothek. Ich wecke Euch, sobald es an der Zeit ist.«
    »Habt Dank.« Raphael gähnte. Er verließ die Küche, schaute erst nach links, dann nach rechts und entdeckte eine auffällig verzierte Tür. Abbildungen von Männern mit langen Bärten und Büchern in den Händen waren von blumigen Ornamenten umrankt. Raphael trat ein. Hatte Juda nicht von einer ›bescheidenen Bibliothek‹ gesprochen? Raphael verschlug es die Sprache. Regal reihte sich an Regal, prall gefüllt mit Büchern. Der ganze Raum mochte gut und gern dreißig Schritte lang und zwanzig Schritte breit sein.
    Ehrfürchtig machte Raphael ein paar Schritte. Seine Nase nahm den so vertrauten Geruch von Tinte, Papier und Leder wahr. Ein leichter Hauch von Moder, der zu jeder guten Bibliothek gehörte, empfing ihn. Für einen Moment fühlte er sich in das Scriptorium von St. Albert versetzt. An Schlaf war an

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