Hexengold
schlug betont langsam die Augenlider auf. »Ich bin Adelaide Steinacker, Kaufmannswitwe aus Frankfurt am Main. Zusammen mit meiner Base Magdalena Grohnert und deren Tochter Carlotta logiere ich im Haus Eurer verehrten Nachbarin. Wie es der Zufall will, wurden wir auf die schweren Nöte Eurer verehrten Frau Schwägerin aufmerksam.« Sie hielt inne, kostete die Stille unter den übrigen Anwesenden aus. Das signalisierte ihr, wie aufmerksam man ihr auch hinten am Tisch lauschte. »Da meine Base einige Kenntnisse in der Heilkunst besitzt und ich als Tochter eines Apothekers ebenfalls über bescheidenes Wissen verfüge, waren wir so frei, unsere Unterstützung anzubieten.« Kaum hatte sie die lange Rede beendet, staunte sie selbst, wie freimütig sie diesem Mann gegenüber ihre Herkunft erwähnte. Seit frühen Kindheitstagen hatte sie sich das nicht mehr getraut. Es lag wohl an Helmbrechts feinfühligem Auftreten, dass sie sofort Zutrauen fasste. Oder war es noch die Wirkung des Kräuterdampfs in dem Gemach nebenan, der ihr die Sinne benebelte?
Ihr Blick wanderte zu den Leuten im Hintergrund, die weiterhin schweigend um den Tisch saßen. Trotzig schob sie eine nasse Haarsträhne hinters Ohr und überlegte, ob sie nach einem Handtuch verlangen sollte. Dann aber lief sie Gefahr, dass Helmbrecht sie stehen lassen und höchstpersönlich nach dem Leinen eilen würde. Also schob sie sich näher an ihn heran, um ihm tieferen Einblick auf ihre weiblichen Formen zu gewähren.
Einer der Herren am Tisch nickte unterdessen beifällig, ein anderer murmelte gerade so laut, dass Adelaide ihn noch verstand: »Gut, dass sie rechtzeitig da waren. Die versoffene Brigitt hätte Mutter und Kind sterben lassen.«
»Gott, der arme Ludwig, wenn er heimgekommen und Weib und Kind tot vorgefunden hätte!«
Andere nickten zustimmend. Zufrieden über die Reaktionen schürzte Adelaide die Lippen und reckte die Nase nach oben, als sie sich ihrem direkten Gegenüber bedächtig wieder zukehrte.
Er schmunzelte. »In der Beschreibung Eurer großartigen Taten seid Ihr viel zu bescheiden, meine Teuerste. Immerhin habt Ihr meiner Schwägerin und dem Kind das Leben gerettet. Eine Tat, die nicht mit Gold aufzuwiegen ist.« Helmbrecht wandte sich an die übrigen Anwesenden, breitete die Arme aus und rief laut: »Ein Junge! Habt ihr gehört: Es ist ein Junge! Alles ist überstanden. Im Namen meines Bruders danke ich euch allen für eure Gebete und euren Beistand.« Formvollendet verschränkte er die Hände wie im Gebet vor der Brust und verbeugte sich tief vor dem Kreis der Wartenden.
Die Frau mit der Haube rührte sich als Erste. »Gott sei Dank, ein Junge!« Sie bekreuzigte sich. Dann kam auch sie herüber, musterte Adelaide unverhohlen von oben nach unten und verkündete trocken: »Danke für die Hilfe, auch wenn wir nicht darum gebeten haben. Mein Sohn wird sich bei seiner Rückkehr Euch gegenüber erkenntlich zeigen.« Sie schob sich an ihr vorbei in das angrenzende Schlafgemach. Zögernd folgten die anderen.
Adelaide schluckte die aufsteigende Verärgerung hinunter, weil keiner es für nötig hielt, ihr außer dem spröden Dank zumindest eine trockene Decke zu bringen und ein heißes Getränk anzubieten. Durch die halbgeöffnete Tür erspähte sie die veränderte Szenerie im Schlafgemach. Die Wöchnerin war inzwischen gewaschen und hergerichtet. In den weißen Kissen des Ehebetts drohte sie der erschreckenden Blässe wegen vollständig zu verschwinden. Stolz hielt ausgerechnet die Hebamme den Verwandten den neuen Erdenbürger entgegen, während die vorlaute zweite Frau sich still in den Hintergrund drückte.
Magdalena und Carlotta standen ebenfalls am Rand des Geschehens und eilten, sobald sich das Augenmerk der Anwesenden ganz auf den neuen Erdenbürger gerichtet hatte, aus der Kammer zu Adelaide ins Vestibül.
»Ihr müsst die unbekannte Retterin sein!« Noch bevor sie zueinander fanden, stellte sich Helmbrecht Magdalena in den Weg. Seine wohltönende Stimme säuselte geradezu. Erst in dem Moment wurde Adelaide gewahr, dass er sich nicht in den Kreis der Gratulanten um das Bett der Wöchnerin gereiht hatte. Er war zwar der Bruder des Kindsvaters, schien aber trotzdem nicht so recht zum engeren Kreis der Familie zu gehören. Sie zog die Augenbraue hoch und erstarrte im nächsten Moment.
Magdalena und Helmbrecht standen sich reglos gegenüber. Die Base war ebenfalls noch deutlich von dem unfreiwilligen Wasserguss gezeichnet. Nass klebten ihr die
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