Hexengold
niederließ. Vorsichtig öffnete sie die Phiole, roch an der Tinktur und träufelte der Gebärenden ein gutes Dutzend Tropfen davon in den offenen Mund. Mit großen Augen starrte die Frau sie an, schluckte gehorsam. »Es wird alles gut«, flüsterte Adelaide und streichelte ihr über die Wange. Zum Glück ahnte die Frau nicht, dass sie sich damit vor allem selbst zu beruhigen suchte.
Adelaide wusste, dass sie das alles nur überstehen würde, wenn sie das Geschehen um sich herum vollständig von ihrer Wahrnehmung ausschloss. Gebannt starrte sie auf die Truhe vor dem Fenster, studierte das ins Holz geschnitzte Muster und rief sich gleichzeitig eine Flötenmusik in Erinnerung, die sie unlängst gehört hatte. Nach einiger Anstrengung glückte es ihr tatsächlich, das Schreien der Frauen und das Wehklagen der Gebärenden um sich herum auszuschließen. Auch Magdalenas angestrengtes Keuchen sowie Carlottas banges Seufzen rückten von ihr fort.
Je weiter die Kerzen niederbrannten und der Tag draußen vor dem Fenster versank, desto schwieriger wurde es, den Zierat der Truhe zu bewundern. Bald war es nur noch ein schwarzer Kasten, der sich kaum von dem dämmrigen Grau in der Kammer abhob. Dennoch half Adelaide der Wille, sich an das Muster zu erinnern, es wieder und wieder genauestens vor sich zu sehen. Erst die ungewohnte Stille weckte sie aus diesem Bemühen auf. Erstaunt wandte sie sich um.
»Ein Junge!«, rief Magdalena und hob ein verschmiertes Etwas in die Höhe. Die Hebamme und die vorlaute Helferin sprangen gleichzeitig vom Boden auf, nur Carlotta verharrte an ihrem Platz.
Der Gebärenden entfuhr ein langgezogenes Seufzen, dann kippte ihr Kopf schwer zur Seite. »Sie stirbt!«
Sofort drückte Magdalena der Hebamme das Kind in die Arme und stürzte sich auf die frisch Entbundene, tastete nach ihrem Puls, versetzte ihr rechts und links auf die Wangen eine Ohrfeige. »Nicht!«, beschwor sie die Frau. »Mach dich nur nicht davon, jetzt, da alles überstanden ist.« Ihr Rütteln wurde hektischer. Adelaide verfolgte das Treiben wie gelähmt, unfähig, sich von der Stelle zu bewegen. Auf einmal klatschte ein Schwall eiskalten Wassers auf sie alle drei herab. Die Frau schlug die Augen auf, öffnete den Mund und prustete los, spie Adelaide einen Mundvoll Wasser direkt ins Gesicht. Angewidert wischte sie es weg und schüttelte sich ebenfalls. Das unfreiwillige Bad hatte sie vollständig eingenässt. Ihr Haar klebte am Schädel, das Kleid schlang sich kalt um den Körper. Sie fröstelte.
»Das hilft immer!«, erklärte die Vorlaute lachend. Schwankend erhob sich Adelaide vom Boden. Ohne die Frau eines Blickes zu würdigen, schritt sie an ihr vorbei nach draußen. Sie hatte genug von diesen Frauen. Sie hatte genug von dem eigenartigen Treiben und dem verschwörerischen Tun.
»So bleib doch!«, hörte sie Magdalena hinter sich rufen. »Das war doch nicht böse gemeint.«
Sie wandte sich jedoch nicht mehr um und verließ den Raum.
7
Erst als sich Adelaide im gleißenden Licht des Vorraums einem halben Dutzend gespannt auf sich gerichteter Gesichter gegenüberfand, erwachte sie aus der Betäubung. Sie strich das feuchte Haar zurück, fuhr sich mit den Händen über die Wangen und rieb die Haut darauf trocken. Unverhohlen starrte ihr ein blonder Mann auf die Brust. Ihr Blick folgte dem seinen. Das nasse Kleid entblößte nicht nur die einzelnen Rundungen, auch die Brustspitzen ragten aufreizend darunter hervor. Schützend verschränkte sie die Arme vor dem Oberkörper.
Eine ältere Frau mit weißer Haube schüttelte den Kopf. Adelaide sah zu Boden. Um ihre Füße bildete sich bereits eine kleine Pfütze, so sehr triefte der Stoff. Sie gab sich einen Ruck. Die tropfende Kleidung war ihr nicht peinlich. Dazu war sie zu sehr Frankfurter Kaufmannsgattin, als dass sie sich von so etwas aus dem Konzept bringen ließ. Würdevoll richtete sie sich wieder auf, strich sacht über die Oberarme, sah der Alten mitten ins Gesicht und sagte mit einem liebreizenden Lächeln: »Guten Abend, die Herrschaften.« Sie nickte in die Runde. Ihre wohltönende Stimme erzielte Wirkung. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, senkten die Frauen und Männer ihre Blicke. Zunächst wagte niemand, sich zu erheben und sie nach dem Geschehen in dem Raum nebenan zu befragen.
»So ist alles gut gegangen?« Ein elegant, aber nicht auffällig gekleideter Mann erhob sich endlich von seinem Stuhl und trat auf sie zu. Er trug mäßig weite Kniebundhosen aus
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