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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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ihm. Alle Hoffnungen und Pläne, vor allem der Anspruch auf Mutters Erbschaft, wären damit zunichtegemacht.
    Angestrengt lauschte sie auf die Atemzüge der Frauen. Eine Weile wartete Carlotta noch, dann griff sie nach ihrem Kleid und schlich in gebückter Haltung durch die Tür in den nachtschwarzen Flur.
    Klopfenden Herzens streifte sie das Kleid über ihr Leinenhemd. Beim Zubettgehen hatte sie bereits darauf geachtet, welche Stiegen auf der Treppe knarrten. Flink konnte sie die nun überspringen und nahezu lautlos aus dem Gasthaus gelangen.
    Als sie die schwere Haustür hinter sich schloss, presste sie den Rücken gegen das Holz, schloss die Augen und atmete tief durch. Sie hatte es tatsächlich geschafft! Weder die Mutter noch die Tante hatten etwas gemerkt. Damit war der erste Teil der Aufgabe überstanden. Nun galt es, quer über die Wiese bis zum Unterstand zu laufen. Bei allem Ekel, der in ihr aufstieg, fühlte sie auch einen Anflug von Erleichterung. In ein, zwei Stunden hatte sie alles hinter sich. Morgen früh schon konnte sie aufrecht an Mathias vorbeigehen und musste ihn nicht mehr fürchten. Den Vater würde er gewiss nicht mehr verraten. Sie sah in die mondhelle Nacht und rannte los.
    Ein spitzer Stein stach ihr in die nackte Fußsohle. Sie jaulte auf und schlug sich sogleich die Hand vor den Mund. Endlich erreichte sie die Scheunenwand. Hinter dem Holz waren leise Stimmen zu hören. Also waren die Männer noch wach. Trotzdem beschloss sie, erst einmal stehen zu bleiben. Sie war zu schnell gelaufen. Das Luftholen schmerzte. Sie presste die Hände in die Seiten und beugte den Rumpf vor. Das linderte die Pein. Langsam zählte sie bis zehn, zwang sich, gleichmäßig Atem zu schöpfen. Endlich ging es besser. Sie richtete sich wieder auf und blinzelte in die Finsternis. Sie hatte keine Vorstellung, wie spät es war.
    Bis zum halboffenen Unterstand der Wagen waren es von der Längsseite der Scheune noch wenige Schritte. Carlotta mühte sich zu erkennen, ob sich zwischen den Fuhrwerken etwas regte. Der Hund schlug nicht an. Sie ängstigte sich zwar nicht vor dem Vierbeiner, fürchtete aber, dass jemand auf sie aufmerksam wurde. Das galt es zu vermeiden. Noch einmal horchte sie ins Innere der Scheune. Das Gemurmel verebbte. Es half nichts, sie musste es hinter sich bringen. Also lief sie weiter, schnurstracks auf den Unterstand zu.
    »Schön, dich zu sehen.« Mathias’ Stimme überschlug sich selbst beim Flüstern. Die Mischung aus kindischem Piepsen und erwachsenem Bass schnitt ihr ins Innerste. Sie fuhr herum und sah ihm direkt in die Augen. Mathias hatte bereits auf sie gewartet. Wieder begann ihr Herz heftiger zu pochen.
    Der Mond hatte sich zwischen die Wolken geschoben. Nun war es hell genug, Einzelheiten auf Mathias’ Antlitz zu erkennen. So nah waren sie sich seit Erfurt nicht mehr gewesen. Der zarte Bartflaum auf der Oberlippe war in den letzten Wochen dichter geworden. Das schwarze Haar stach von der weißen Haut ab. Rote Pusteln zierten die riesige Nase und das Kinn. Unruhig zuckten seine Pupillen hin und her. Bis in die Haarspitzen hinein war seine Anspannung sichtbar.
    Seltsamerweise aber beschwichtigte sie das nicht. Sie war selbst kaum bei Sinnen. Die Angst vor dem, was ihr bevorstand, bereitete ihr Übelkeit. Sie dachte daran, wie er in Erfurt mit der Zunge in ihrem Mund gewühlt hatte. Sein Keuchen und Stöhnen, sein stierer Blick. Es würgte sie. Dieses Mal konnte sie ihm keinen Tritt versetzen und einfach davonrennen. Dann würde er den Vater verraten. Also sollte sie alles tun, damit es schnell vorüber war. Trotz dieser Einsicht streckte sie erst einmal den Rücken und sah ihn ruhig an.
    Er grinste unsicher. »Gut zu wissen, wie viel dir der Ruf deines Vaters wert ist.« Sobald die Stimme wieder kippte, räusperte er sich. Unbeholfen schob er sich noch ein Stück näher. Sie roch den bitteren Branntweingeruch und drehte rasch das Gesicht beiseite. Sofort fasste er sie am Kinn und zwang sie, ihn wieder geradewegs anzuschauen. »Aber vielleicht bist du nicht allein deswegen hier. In Wahrheit willst du es auch, nicht wahr? Du gierst geradezu danach, dass ich es mit dir tue. Seit Erfurt ärgerst du dich, mir davongelaufen zu sein. Komm, gib es zu!«
    »Bist du verrückt?« Sie lachte ihn aus, auch wenn ihr wahrlich nicht zum Lachen zumute war. »Sieh dich doch an! Eine Jammergestalt bist du. Kaum kannst du dich auf den Beinen halten. Wie viel Branntwein hast du trinken müssen, um genug Mut

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