Hexengold
die schmächtigen Schultern. An seinem dünnen Hals bewegte sich der Kehlkopf. Die Linie der riesigen Nase wirkte noch schärfer als sonst. Sein dichtes schwarzes Haar umfing seinen Schädel wie ein schützender Helm.
»Weißt du überhaupt, was da eben passiert ist?« Sie stemmte die Hände in die Hüfte und sah ihn herausfordernd an. »Natürlich war das furchtbar! Selbst wenn es nicht zum Allerschlimmsten gekommen ist, reicht das, was geschehen ist, schon aus, mich für den Rest meines Lebens mit Alpträumen zu plagen.«
Am Haus knallte eine Tür. Mathias fuhr zusammen. Kurz spähte Carlotta hinüber und entdeckte die Umrisse der zierlichen Gestalt ihrer Mutter, gefolgt von dem dunklen Schatten Tante Adelaides. Auch Mathias musste die beiden erkannt haben. Schon sackte er weiter in sich zusammen. »Carlotta, bitte!«, krächzte er heiser.
»Wie komme ich dazu, dir je zu verzeihen? Lass mich vorbei, drüben wird meine Hilfe gebraucht.« Brüsk schob sie ihn beiseite und rannte fort.
Mit klopfendem Herzen betrat sie die Scheune. Helle Aufregung empfing sie. Mehrere Lampen beleuchteten die Ecke, in der Helmbrecht lag. In respektvollem Abstand standen die Wachmänner und die Fuhrleute, auch andere Gäste der Herberge hatten sich eingefunden. Gerade drängte sich Magdalena an ihnen vorbei und kniete sich auf den Boden. Pohlmann und der Gastwirt hielten sich dicht hinter ihr, Adelaide verharrte an einem mächtigen Holzbalken. Das flackernde Licht der Laternen ließ die Gesichter der Männer gespenstisch erscheinen. Sie sahen aus, als hätten sie eben dem Teufel ins Antlitz geblickt.
14
Helmbrechts schlanker Körper lag nahezu reglos. Die Haltung seiner Gliedmaßen und der Ausdruck seines Gesichts zeugten allerdings davon, wie sehr er bis vor wenigen Augenblicken noch unter Krämpfen und Zuckungen gelitten haben musste, bis es ihm die Sinne raubte.
Magdalena genügte ein kurzer Blick auf den Mann am Boden, um zu wissen, was in den letzten Minuten vorgefallen war. Die entsetzten Gesichter der Umstehenden taten ein Übriges.
Sie drehte ihn vorsichtig zur Seite. Niemand wagte, ihr zu helfen, dabei war der Körper schwer. Seinen Kopf bettete sie vorerst auf Stroh, das sie auf dem Boden zu einem kleinen Hügel zusammenschob. Aufmerksam studierte sie Helmbrechts verkrampfte Gesichtszüge, fühlte den Puls, hielt ihm die Finger prüfend an den Hals.
Das Schlimmste war überstanden. Und doch … Sie beugte sich weit vor, presste die Finger an sein Kinn und versuchte mit aller Kraft, die Kiefer auseinanderzuziehen. Endlich öffnete sich der Mund einen kleinen Spalt weit. Rasch schob sie die Finger hinein, bekam die Zungenspitze zu fassen und zog sie ein Stück heraus. Er hatte sie bereits blutig gebissen.
»Hier, nimm das!« Erstaunt erkannte sie die zierliche Hand ihrer Tochter, die ihr ein Holzstöckchen reichte. »Schieb ihm das zwischen die Zähne, damit er sich nicht mehr die Zunge zerbeißen kann.«
»Danke!« Sie lächelte Carlotta an und unterdrückte die Frage, wo sie gesteckt hatte. Voller Sorge hatte sie vorhin gesehen, dass sie nicht im Bett neben ihr lag. »Du hörst also doch zu, wenn ich dir hin und wieder etwas über die Heilkunst erzähle. Du bist im rechten Moment gekommen. Lauf in die Kammer und hol mir meine Wundarztkiste. Sorg auch für warmes Wasser und weitere Decken.«
Ohne darauf zu achten, ob Carlotta ihrer Bitte folgte, zog sie eine der groben Pferdedecken herbei und breitete sie über ihn. Niemand der Umstehenden machte Anstalten, ihr zu Hilfe zu kommen. Als Carlotta sich erhob, traten sie lediglich beiseite, um das Mädchen vorbeizulassen.
»Lebt er noch?« Pohlmanns dunkelblonder Haarschopf schob sich in Magdalenas Blickfeld. Zuvor hatte er sich hinter den Rücken der Wachleute herumgedrückt. Dabei musste er einer der Ersten gewesen sein, die Helmbrechts Anfall bemerkt hatten, befand sich sein Schlafplatz doch nur wenige Schritte von Helmbrechts entfernt. Die Aufregung der letzten Minuten war Pohlmann anzusehen. Die Furchen um Mund und Nase hatten sich noch tiefer eingegraben, dunkelrot hob sich die Farbe seines Gesichts von Bart und Haar ab. Seine grauen Augen blickten erschöpft. Trotz der Aufregung hatte er Zeit gefunden, den goldbetressten Rock locker über die Schultern zu werfen. Sogar in die Stiefel war er geschlüpft. Das unterstrich die dünnen bleichen Beine, die zwischen Schaft und Hemd hervorlugten.
»Er hat wohl Glück gehabt«, bestätigte Magdalena, setzte sich auf die
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