Hexengold
denjenigen, die das Geschehen an seinem Krankenbett nicht miterlebt hatten, schien es, als wäre der Krampfanfall der Grund für seine düstere, unnahbare Stimmung.
»Allmählich gleicht unser Zug einem kleinen Heer«, bemerkte Carlotta und wies auf die acht bewaffneten Reiter, die sie begleiteten. Beidseits der Fuhrwerke sowie zum Abschluss des Frachtwagens hatten sie Posten bezogen, die Gewehre schussbereit quer über die Zügel gelegt. »So finster, wie die Männer schauen, fürchte ich, sie schießen gleich auf jeden Verdächtigen, den sie entdecken, ganz gleich, in welcher Absicht er sich uns nähert.«
Als wäre das ein Signal, raschelte es in diesem Augenblick in einem Baum zwei Schritte neben der Straße. Einer der Wachmänner griff sofort nach seinem Gewehr. Mahnend legte Magdalena den Finger auf die Lippen. Carlotta blieb reglos stehen. Das Rascheln wurde lauter. Endlich war die Ursache zu sehen: Ein Eichhörnchen schoss den glatten Stamm einer Buche hinauf. Erleichtert gab der Bewaffnete zur Entwarnung ein Handzeichen. Mutter und Tochter atmeten auf und gingen Seite an Seite weiter.
»Du siehst, du musst keine Angst haben.« Beruhigend drückte Magdalena die zarten Schultern der Dreizehnjährigen. »Bevor geschossen wird, schauen sie tatsächlich noch einmal genauer hin. Außerdem lauern uns hier in der Gegend bestimmt nicht so schnell Marodeure auf.«
»Helmbrecht scheint aber damit zu rechnen. Warum sonst hat er erst vor drei Tagen in Posen zwei zusätzliche Wachen angeheuert?« Erstaunt sah das Mädchen sie an. »Wir sind mitten im Kriegsgebiet, das hast du selbst gesagt.«
»Es ist einfach keine Gegend für Marodeure, mein Kind.«
»Woher willst du das wissen?«
»Vergiss nicht, wo ich aufgewachsen bin. Wenn du mit dem Heerestross unterwegs bist, läufst du ständig Gefahr, Marodeuren in die Hände zu fallen. Deshalb habe ich einen Blick dafür, wo die Gefahr wirklich lauert. Hier tut sie es nicht: Erstens ist das Unterholz nicht dicht genug. Wo soll sich da jemand verstecken können?« Magdalena wies mit dem freien Arm rechts und links des Weges. In der Tat standen die Laubbäume weit auseinander. Schutz spendendes Gestrüpp war dünn gesät. Stattdessen wucherten Farne auf dem feuchten Untergrund, die kaum verborgene Schlupfwinkel boten. Ungehindert drangen die Sonnenstrahlen bis zum Boden und warfen ausgedehnte Lichtinseln auf das allmählich vermodernde Laub aus dem Vorjahr. In den hohen Baumkronen zwitscherten die Vögel ausgelassen ihre Frühlingsweisen.
»Und zweitens?«
Magdalena lächelte. »Zweitens ist es einfach keine lohnende Gegend. Die Polen und die Schweden stehen sich schon seit zwei Jahren als Feinde gegenüber. Österreicher und Litauer sind mehr als ein Mal hier entlanggezogen. Als Folge der vielen Gefechte ist die Region reichlich ausgeplündert. Die wenigen Bauern, die geblieben sind, haben nichts mehr, was sich noch zu stehlen lohnt. Und die Kaufleute meiden diese Route seit langem.«
»Wie du das alles sagst«, entfuhr es dem Mädchen.
»Was stört dich daran?«
»Es klingt, als würdest du es genießen.«
»Was? Den Krieg oder die menschenleere Gegend?« Forschend suchte Magdalena den Blick ihrer Tochter.
»Beides.« Carlotta wich ihr nicht aus, sondern sah ihr offen ins Gesicht.
»Ich glaube, da hast du mich gründlich missverstanden, mein Kind.« Nachdenklich knickte Magdalena einen hüfthohen Grashalm ab, spielte mit den Fingern daran herum und sog den frischen Duft des Waldes ein. Für einige Augenblicke waren sie wieder da, die Bilder aus den so weit zurückliegenden Tagen. Roswitha und Meister Johann, auch Rupprecht schienen dort hinten bei den Bäumen zu stehen und ihr zuzuwinken. Im nächsten Moment waren sie schon verschwunden. Magdalena wandte sich wieder Carlotta zu. »Eines jedoch stimmt: Ich bin und bleibe eine Söldnertochter, daran wird mein Leben als Kaufmannsgattin nie etwas ändern können. Über die Schrecken des Krieges aber sind wir uns einig. Schau dir an, was er anrichtet: unzählige Tote und Verletzte, verwüstetes Land, Hunger und Elend.«
»Und doch habe ich den Eindruck, du siehst noch anderes darin.« Ein ängstlicher Ausdruck huschte über Carlottas schmales Gesicht. Magdalena spürte, wie unheimlich sie dem eigenen Kind geworden war. Sie legte den Arm um die Kleine und drückte sie sanft an sich.
»Das alles sind die schrecklichen Folgen, die der Krieg nach sich zieht«, beeilte sie sich zu versichern. »Doch wie alles hat auch der
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