Hexengold
stimmte die Wirtin zu und bückte sich nach dem Tablett. Aus dem Erdgeschoss dröhnte aufgeregtes Stimmengewirr herauf. »Ich muss nachsehen, was da vorgeht. Mein werter Gatte ist leider seit Tagen schon unpässlich. Da bleibt alles an mir hängen. Ihr wisst ja selbst nur zu gut, wie das ist.« Erneut strich sie Magdalena über den Arm, nickte Carlotta zu und verließ den Raum.
»Ist es nicht seltsam?« Sogleich sprudelte Carlotta los. »Da machen wir uns tagelang Gedanken, und am Ende ist alles so einfach: Der Zufall hat uns gleich in den richtigen Teil der Stadt geführt, in dem man alles über deine Vorfahren und die von Vater weiß. Schade nur, dass die Grohnerts so viel Schuld auf sich geladen haben.«
»Das kannst du so nicht sagen«, stellte Magdalena klar. »Die Schilderungen der Wirtin zeigen eher, dass beide Familien zum Spielball eines rätselhaften Dritten geworden sind, der sich auf ihre Kosten einen enormen Vorteil verschafft hat. Dank des Vorfalls hat er zwei erfolgreiche Bernsteinhändlerfamilien auf einen Schlag als Konkurrenten ausgeschaltet. Vielleicht gelingt es uns, auch die Unschuld der Grohnerts an der Angelegenheit noch zu beweisen. So wird es den Königsbergern leichter fallen hinzunehmen, dass ausgerechnet dein Vater und ich geheiratet und damit die hässliche Fehde beendet haben. Doch zuerst müssen wir an der Börse nach Vater und seinen Gefährten fragen. Als Frau kann ich allein das Erbe nicht beanspruchen.«
»Hoffentlich fällt uns das ebenso leicht.«
6
Trotz der verlockenden Leckereien verspürte Carlotta ebenso wenig Appetit auf das Frühstück wie Magdalena. Allein der Vernunft wegen zwangen sich beide zu einigen Löffeln Haferbrei und einem Becher verdünnten Bieres. Hoch erhobenen Kopfes und gemessenen Schrittes marschierten sie kurze Zeit später durch die sonnenbeschienene Kneiphofer Langgasse der Krämerbrücke zu.
Magdalena hakte sich bei ihrer Tochter ein. Neugierig wanderten ihre Blicke über die Fassaden. Vor einigen Jahrzehnten hatte man die alten Fachwerkhäuser abgerissen und stattdessen ausladende Anwesen aus Stein errichtet. Die Eingänge waren zumeist von mächtigen Säulen flankiert. Ornamente und Figuren zierten die Gesimse, auf den Stufen der Giebel und oben auf dem Dachfirst fanden sich Statuen, die biblische oder Gestalten aus der alten Sagenwelt zeigten. An manchen Giebeln wiesen Schiffe oder Fische auf die langjährige Tradition eines Handelshauses hin. Eine Besonderheit waren die Tafeln mit den Sinnsprüchen, die sich unterhalb der Wappen am Portal befanden. Dort standen Weisheiten zum Leben allgemein, den Handelsgeschäften der Bewohner oder ungewöhnliche Einsichten zu Sterben und Tod. Manch ein Hausherr bewies Humor und handelte in wenigen Worten an der Front seines Hauses die nicht immer ruhmreiche Erfahrung mit den Tücken des Alltags ab. Vor den Eingängen der Häuser lagen die Beischläge, die ein gutes Stück weit in die Straße ragten. Da sie sich auf beiden Seiten erstreckten, verengte das die Fahrspur deutlich. Mancherorts war man sogar dazu übergegangen, die Beischläge zu richtigen Vorbauten zu erweitern und dadurch über ein, zwei Geschosse weiteren Wohnraum zu erschließen. Eifrig werkelten Maurer, Stuckateure und Zimmerleute ständig an Erweiterungen und Anbauten, so dass die Stadt sich als riesige Baustelle präsentierte.
Auf halbem Weg zur Krämerbrücke fiel ein Anwesen besonders ins Auge. Unverkennbar war es seit langem unbewohnt, aber nicht weniger gepflegt als die anderen. Das Sandsteinportal war übersät mit Reliefs und Figuren. Entlang der Fensterstürze zog sich weiterer Zierat. Die Krönung indes war der Stufengiebel, der mit vergoldeten Statuen auf jeder einzelnen Stufe geschmückt war. Ganz obenauf thronte ein stattlicher Neptun, der, die eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere fest um seinen Dreizack geschlungen, von oben auf die Gasse und die dort entlang Eilenden herabsah.
»Der Beschreibung unserer Wirtin nach muss das das Haus von Paul Singeknecht sein.« Andächtig verharrte Magdalena vor dem Anwesen. »Ist es nicht anrührend, endlich am Ort unserer Ahnen angekommen zu sein?« Sie bestaunte all die vielen Einzelheiten, die man um Fenster, Bögen und Türen angebracht hatte. Die Fensterscheiben in den oberen Geschossen spiegelten das erste Sonnenlicht wider. So leblos das wirkte, so offensichtlich war die pflegende Hand, die sich hinter all dem Schmuck verbarg.
»Ein wundervolles Haus«, ließ sich eine dunkle
Weitere Kostenlose Bücher