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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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sich ein Stück der Geschichte, die Magdalena von ihrem Vater kannte, zu dem, was Eric ihr erzählt hatte. Gemeinsam mit dem, was die Wirtin wohl noch wusste, würde es endlich zu einem vollständigen Ganzen werden: zur Familiengeschichte der Singeknechts und Grohnerts aus Königsberg.
    »Mehr als fünfunddreißig Jahre ist es her, dass mein Vater seine Heimatstadt verlassen hat, weil sein Bruder angeblich gestorben ist. Wegen einer Fehde mit den Grohnerts, die er nicht hatte verwinden konnte, war mein Vater davon ausgegangen, Paul habe eine schwere Sünde auf sich genommen und wäre ins Wasser gegangen.
    Aber wenn Ihr vorhin erwähnt habt, Paul Singeknecht wäre erst vor zehn Jahren gestorben, heißt das doch …« Sie sprang vom Stuhl und fasste die Wirtin am Arm. »Heißt das, dass Paul, also Josephs Bruder, damals gar nicht gestorben ist? Mein Vater ist also völlig grundlos von zu Hause weg!«
    »Das stimmt nur zum Teil. Verzeiht, aber Euer Vater war ein Hitzkopf. So oder so wäre er über die Sache mit den Grohnerts nicht hinweggekommen.«
    »Worum ging es denn genau? Ich weiß nur, dass die Grohnerts letztlich auch die Stadt verlassen haben. Sie zogen nach Magdeburg und brachen alle Brücken hinter sich ab. Bis heute scheint man hier nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen zu sein, das habe ich auch Euren Worten entnehmen können.«
    »Ja, die Grohnerts sind nicht mehr gut gelitten. Aber das haben sie sich selbst zuzuschreiben. Doch lasst mir einen Moment Zeit, ich werde mich an alles erinnern, auch wenn ich damals noch ein halbes Kind war, kaum älter als Eure Tochter jetzt.« Die Wirtin nickte Carlotta zu und rieb sich die entblößten Unterarme. »Es hat uns alle sehr getroffen, so furchtbar war das. Monatelang noch haben die Erwachsenen darüber geredet, sind alle Vorkommnisse wieder und wieder durchgegangen. Keiner hat es so recht wahrhaben wollen. Die Zunft der Bernsteinhändler war zutiefst erschüttert. Immerhin gehörten sowohl die Singeknechts als auch die Grohnerts zu deren angesehensten Mitgliedern. Beide Familien hatten seit Generationen ihr Geld mit dem Bernsteinhandel gemacht.«
    Noch einmal hielt sie inne und schüttelte gedankenverloren den Kopf. Nach einem Seufzer begann sie endlich zu erzählen: »Eines Tages behauptete Tobias Grohnert, also Euer Schwiegervater, ihm sei zugetragen worden, die Singeknechts hätten krumme Dinge mit dem Bernstein betrieben. Sie hätten minderwertigen gerissenen oder trüben Stein unter die gute Ware gemischt, zudem nassen Bernstein in die Säcke gefüllt, um die Käufer über das wahre Gewicht zu täuschen. Zunächst nahm das niemand sonderlich ernst. Solche Behauptungen tauchen immer wieder auf, gerade wenn ein Kaufmann einen großen Handel abgeschlossen hat und ein anderer dabei leer ausgegangen ist. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Doch diesmal hörte er einfach nicht damit auf.
    Eines Tages dann gingen Vertreter der Zunft zu den Singeknechts, um Kontor und Lager zu überprüfen. Und siehe da: Es haben sich wirklich die nötigen Beweise gefunden. Ein Lagerarbeiter zeigte ihnen, wie er auf Geheiß von Paul Singeknecht trüben Bernstein in Rüböl habe klarkochen müssen, dass er rissigen Bernstein mit unter die gute Ware mischen sollte und so weiter. Sogar die Krüge mit dem Rüböl standen noch herum. Ist das nicht unfassbar? Dass sie so dumm gewesen sein sollten, hat niemand so recht glauben mögen. Kurz darauf aber verschwand erst der besagte Lagerarbeiter spurlos und dann Paul Singeknecht. Den Lagerarbeiter hat man nach einiger Zeit mit durchschnittener Kehle auf der Altstädter Holzwiese gefunden. Einige Tage später sind Paul Singeknechts Mantel sowie seine Schuhe nicht weit davon entfernt aus dem Neuen Pregel gefischt worden. Es tauchte sogar ein halb aufgeweichter Brief auf, in dem Paul den ganzen Trug mit dem Bernstein gestanden und seine Eltern um Verzeihung gebeten haben soll. Damit stand für alle fest: Zuerst hat er den Lagerarbeiter getötet, und nachher ist er aus Scham über diese schändliche Tat sowie den Betrug ins Wasser gegangen!
    Euer Vater, Pauls jüngerer Bruder Joseph, war außer sich. Von jetzt auf gleich stürmte er das Kontor der Grohnerts, schlug alles kurz und klein und verließ im Morgengrauen die Stadt, lange bevor der Büttel ihn festsetzen konnte. Die alten Singeknechts sind aus Gram über den Verlust der beiden Söhne und das Unglück mit dem Betrug wenige Wochen darauf gestorben.« Sie hielt inne und starrte im

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