Hexengold
ihn beiseite und rief ihm über die Schulter zu: »Hör auf mit deinen Märchen. Nie und nimmer hat deine Mutter meiner Mutter bei einer Behandlung beigestanden.«
So schnell aber gab Mathias nicht auf. Er lief ihr hinterher und zog sie am Arm. »Frag sie selbst. Du wirst schon sehen, wie falsch du von ihr denkst.«
»Ich denke nicht falsch von ihr. Ich weiß einfach nur, was ich von ihr zu halten habe.« Durch eine jähe Armbewegung riss sie sich los und stapfte davon, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
Im Hof ging in der Tat alles drunter und drüber. Hermann brüllte sich die Seele aus dem Leib, weil die Männer den Wagen nicht schnell genug abluden. Wie sollten sie es auch schaffen, war doch der Flaschenzug am Lagerhaus zerbrochen. Das bedeutete, dass sie die Säcke einzeln auf dem Rücken über die Stiegen nach oben in den Speicher tragen mussten. Zudem schien einer der beiden Ablader zu fehlen. Hatte Mathias doch recht? Suchend blickte sich Carlotta im Hof um. Als sie Mechthild zusammen mit Renata vor der Werkstatt stehen und aufgeregt tuscheln sah, steuerte sie auf die beiden zu.
Kurz darauf wusste sie, dass sie sich gründlich in Tante Adelaide getäuscht hatte. Gleichzeitig keimte in ihr eine Idee. So aussichtslos war es nicht, an eine kleine Kostprobe der Wundersalbe für Doktor Petersen zu kommen. Die Mutter würde staunen, wenn sie ihr vielleicht nächste Woche schon die Rezeptur präsentierte!
Leise huschte Carlotta in die Küche. Niemand achtete auf sie. Die Mutter wusch sich gerade sorgfältig Hände und Unterarme über einer Schüssel auf dem Tisch, in die Hedwig immer wieder warmes Wasser aus einem Krug nachgoss. Der aufsteigende Dampf hüllte die beiden Frauen ein, gleichzeitig verbreitete er den Seifengeruch in der Küche. Lavendelduft mischte sich darunter. Die Köchin hatte getrocknete Blüten unter die Lauge gemischt, was den erdigen Geruch des Bluts verdrängte.
Neugierig lauschte Carlotta dem Gespräch der beiden Frauen.
»Wie gut, dass Ihr gleich zur Stelle wart, Herrin. Ihr habt dem Burschen das Leben gerettet, bevor er elend mitten im Hof verblutet ist. Was für eine Schande für so einen strammen, jungen Kerl!« Verschämt wischte sich Hedwig die Augenwinkel.
»Wie gut kennst du ihn?« Magdalena nahm sich das bereitliegende Handtuch, um jeden Finger einzeln abzutrocknen. »Ich habe den Mann noch nie zuvor bei uns im Hof gesehen. Hat Hermann ihn neu eingestellt?«
»Seit drei Wochen ist er bei uns. Er ist der Liebste von unserer Renata. Vorher war er vorn bei der Mehlwaage als Ablader beschäftigt, dort haben sich die zwei wohl auch kennengelernt. Hier bei uns aber kriegt er mehr für weitaus angenehmere Arbeit. Im nächsten Sommer wollen sie eigentlich heiraten. Jetzt heißt es also hoffen, dass Gott, der Allmächtige, ein Einsehen hat und ihn wieder auf die Beine kommen lässt.« Hastig bekreuzigte sich Hedwig, senkte den Kopf und murmelte ein Gebet. Auch Magdalena verstummte andächtig. Schließlich schwang Hedwig sich das Handtuch über die Schulter und ging mit der Schüssel in den Händen zur Tür. Dabei entdeckte sie Carlotta. »Gut, dass du da bist, Kind! Hast du schon gehört, was bei uns passiert ist?«
Ohne die Antwort abzuwarten, öffnete sie die Tür zum Hof und klatschte das Wasser in hohem Bogen auf das Pflaster. Entrüstet gackerten die Hühner auf, die Gänse stimmten schnatternd ein, und der Hund knurrte. »Schert euch fort!« Hedwig wedelte das Vieh mit dem Handtuch beiseite, bevor es in die Küche marschieren konnte.
»Woher hast du gewusst, dass Tante Adelaide dir bei der Operation helfen kann?« Carlotta trat zu ihrer Mutter und musterte sie fragend. Magdalena wirkte erschöpft. Die roten Locken lösten sich unter der Haube, die smaragdgrünen Augen waren müde und glanzlos. Selbst die Sommersprossen auf der zierlichen Nase wirkten matt.
»Ich hätte nie geglaubt, dass die feine Dame sich überhaupt so geschickt dabei anstellen und gar die Hände mit dem Blut anderer schmutzig machen würde.« Hedwig hielt mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Kräftig wischte sie die Schüssel trocken und stellte sie zurück ins Regal. Dabei schepperte das Blech laut auf dem grob gehobelten Holz.
»Wir sollten die gute Adelaide eben nicht unterschätzen«, erwiderte die Mutter und setzte sich auf einen Schemel. »Sie wird uns noch so manche Überraschung bereiten.«
»Da kennst du sie wohl besser als wir. Willst du uns nicht mehr über sie verraten?«
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