Hexengold
steckten in grob gestrickten Stulpen, die lediglich die Fingerspitzen frei ließen. Mit tief gebeugtem Rücken standen sie an ihren Pulten vor den Fenstern. Der größere der beiden, ein dünner, langer Mensch mittleren Alters namens Walther, hatte die Zunge zwischen die Lippen geschoben, während er schrieb. Der zweite, Otto, ein etwas jüngerer, dafür bereits kahlköpfiger Mann, lag dagegen fast mit dem gesamten Oberkörper sowie den Ellbogen auf dem Pult. Magdalena mochte keinen von beiden sonderlich. Vinzent hatte sie noch eingestellt, bevor er im Frühjahr mit Eric auf die verhängnisvolle Reise aufgebrochen war, von der er nicht mehr lebend zurückkehrte. Den ganzen Sommer über hatte Magdalena mit beiden Schreibern darum gerungen, dass sie tun sollten, was sie ihnen auftrug. Die Befehle aus dem Mund einer Frau befolgten sie nicht gern. Auch nach Erics Rückkehr war das nicht besser geworden. Für ihn taten sie jedoch alles, sich unentbehrlich zu machen. Deshalb war er nicht gewillt, die zwei ihr zuliebe zu entlassen.
Hart und gleichmäßig kratzten die Federn über das rauhe Papier. Lediglich das Eintauchen der Federkiele in die Tintenfässer sorgte hin und wieder für eine Unterbrechung des gleichmäßigen Schrappens. Magdalenas Blick wanderte weiter. Mathias hockte, die riesige Nase tief in eines der Rechnungsbücher gesteckt, an dem großen Tisch, der vor dem dritten Fenster stand. Sie schmunzelte, als sie die Anstrengung auf seinem schmalen, blassen Knabengesicht sah. Selbst im fahlen Kerzenlicht ließ das die Sommersprossen noch stärker leuchten, als ihm lieb sein konnte. Er biss sich auf die Lippen. An manchen Stellen war die Haut bereits aufgerissen. Für einen Moment warf er den Kopf zurück und schüttelte das schulterlange schwarze Haar zurück, das den Schädel sonst wie einen schützenden Helm umgab. Dann beugte er sich wieder vor und setzte seine Rechenaufgabe fort. Aufmerksam fuhr der linke Zeigefinger an den Zahlenkolonnen entlang. In der rechten Hand hielt er einen Griffel und schrieb Zahlen auf eine Schiefertafel, um die Summen aus dem Buch zu überprüfen. Etwas schien nicht zu stimmen. Er stutzte, wischte weg, schrieb abermals die Zahlen hin und rechnete von neuem. Auch das brachte ihm nicht das gewünschte Ergebnis.
»Die Sieben musst du ordentlicher schreiben«, riet Magdalena. Ohne die Tafel vor sich zu sehen, wusste sie, worin der Fehler lag. So oft schon war ihr aufgefallen, dass er die eigene Schrift nicht lesen konnte. »Sonst hältst du sie beim Zusammenzählen wieder für eine Eins, so wie gestern.« Mathias atmete tief durch, dann wischte er die Tafel mit einem kleinen, feuchten Schwamm sauber und begann von vorn. Auf dem nassen Schiefer verschmierten die Ziffern, und er musste ein zweites Mal neu anfangen.
»Das wird schon, glaub mir.« Aufmunternd lächelte sie ihm zu. »Es ist nicht deine Schuld, dass du in der Lateinschule nur wenig rechnen durftest und dir deshalb die Übung im Umgang mit Zahlen fehlt. Das holst du schnell auf.«
»Danke«, murmelte er und wandte sich abermals seiner Rechnung zu. Dieses Mal ging er sorgfältiger zu Werke, addierte flink die Zahlen und nannte ihr zufrieden das richtige Ergebnis.
Magdalena freute sich, dass er sich mit jedem Tag leichter tat. »Gut, dass Carlotta zu Hedwig in die Küche gegangen ist. Ohne sie hast du mehr Ruhe, in die tieferen Geheimnisse der Geschäftsbücher vorzudringen. Rechnen ist kein Wettstreit. Es geht nicht um Schnelligkeit, sondern um das richtige Ergebnis. Nicht wahr, Walther und Otto?«
Ihr war nicht entgangen, dass die Schreiber hinter ihrem Rücken die Arbeit unterbrochen hatten und das Gespräch belauschten. Das fehlende Kratzen der Federn hatte es ihr verraten. Langsam drehte sie sich zu ihnen um und genoss den verblüfften Ausdruck auf ihren Gesichtern. Walthers hohle Wangen röteten sich, während Ottos dicke Nasenspitze noch weiter anschwoll. »Auf, an die Arbeit!« Laut klatschte sie in die Hände. »Fürs Glotzen werdet ihr nicht bezahlt.«
»Ich weiß nicht, ob ich diese Listen hier heute schaffe.« Mathias legte den Griffel beiseite und wischte sich die tropfende Nase mit dem Jackenärmel. »Ich fände es besser, wenn Carlotta mir dabei hilft. Zu zweit sind wir einfach schneller.«
»Nein, das möchte ich nicht. Das lenkt dich zu sehr ab.« Magdalena sah, wie er rot anlief. Sie biss die Lippen zusammen und unterdrückte den Wunsch, ihm mit den Fingern durch das dunkle Haar zu fahren. »Carlotta
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