Hexengold
hat andere Aufgaben im Haus.«
Sie trat an den imposanten Tresor aus Nussbaumholz, der an der zweiten Längsseite des Raumes stand. In dem Schrank verwahrte sie die Kiste mit den Wundarztinstrumenten sowie einige Salbentiegel und die Phiolen mit den teuren Ölen. Prüfend besah sie den Bestand und stutzte. Der Tiegel mit der wertvollen Wundersalbe ihres Lehrmeisters Johann befand sich nicht an der Stelle, an der sie ihn aufzubewahren pflegte. Dann erinnerte sie sich, am vergangenen Montag einen der Knechte nach der Salbe geschickt zu haben. Natürlich hatte er ihn später nicht mehr exakt an dieselbe Stelle geräumt. Beruhigt nahm sie den Tiegel und wollte ihn an den richtigen Platz stellen. Abermals stockte sie. Er war ungewöhnlich leicht geworden. So viel, dass man es gleich am Gewicht bemerkte, hatte sie gewiss nicht für Renatas Liebsten verwendet. Sie öffnete den Tiegel und entdeckte zu ihrem Entsetzen das Fehlen einer großen Menge Salbe. Deutlich war der Abdruck des Löffels zu erkennen, mit dem sie entnommen worden war. Ihr wurde flau. Vor einigen Monaten erst war ihr der Verlust des zweiten Bernsteins, den Erics Vetter Christian Englund ihr nach dem Krieg hinterlassen hatte, aufgefallen. Über all die Jahre hatte sie das kostbare Stück zwischen ihren Wundarztutensilien aufbewahrt. Weil sie nicht sicher sein konnte, ihn nicht durch eigene Unachtsamkeit verloren zu haben, hatte sie sein Fehlen schweren Herzens nicht an die große Glocke gehängt. Ohnehin wusste niemand außer ihr von dem Stein, dessen Wert für sie weniger in Gold aufzuwiegen war als in der Erinnerung an Englund, Erics schwedischen Vetter. Niemand hätte ihr helfen können, ihn wiederzufinden, und ein Ersatz war unmöglich.
Nun aber fehlte von der wertvollen Wundersalbe. Seit längerem schon schwanden die Bestände an Rosen- und Lavendelöl in ihrem Schrank schneller, als sie selbst sie gebrauchte. Die Anzeichen mehrten sich, dass jemand in ihrem eigenen Haus stahl.
Sie kam nicht dazu, länger darüber zu grübeln, denn in diesem Moment betrat Adelaide das Kontor. Rasch verschloss Magdalena den Tiegel und räumte ihn in den Schrank.
»Was führt dich ins Kontor?«, wandte sie sich an die Base.
»Ist Eric nicht da?« Adelaides Blick schweifte durch den Raum.
»Nein, das siehst du doch. Bereits nach dem Frühstück hat er das Haus verlassen.« Gespannt wartete Magdalena ab. Sie war sich ziemlich sicher, dass ihre Base den Wunsch, Eric zu sprechen, nur vorgeschoben hatte.
Zunächst sagte Adelaide jedoch gar nichts, nickte den beiden Schreibern zu und stellte sich an den Tisch ihres Sohnes. Der hatte bei ihrem Eintreten flüchtig den Kopf gehoben und sich dann wieder den Papieren und der Tafel mit den langen Zahlenkolonnen zugewandt. Eine Weile sah sie ihm über die Schulter und bewegte stumm die Lippen, als rechnete sie zur Kontrolle mit, was er zusammenzählte.
»Er kommt gut voran.« Magdalena kam ebenfalls zum Tisch und betrachtete den Jüngling wohlwollend.
»Das habe ich nicht anders erwartet.« Adelaide hob den streng frisierten Kopf. In ihren dunklen Augen spiegelte sich das flackernde Licht der Kerzen, die Lippen waren wie immer rot gefärbt. Selbst die Wangen waren gepudert, obwohl sie sich weder außer Haus begeben wollte noch Besuch erwartete. »Vergiss nicht, Mathias entstammt einer Familie mit einer sehr, sehr langen Kaufmannstradition.« Ihre schlanken Hände strichen den schwarzen Taft des Kleides glatt. Der Stoff raschelte unter der Berührung. Von Rosenranken durchwirkt, glänzte er in dem fahlen Licht.
Für einen gewöhnlichen Wochentag, einen Freitag noch dazu, hielt Magdalena Adelaides Aufzug für viel zu fein. Ihr eigenes tannengrünes, schlicht gewebtes Samtkleid sah im Vergleich dazu äußerst bescheiden aus. Das aber störte sie nicht, passte es doch zu dem, was sie im Haus zu erledigen hatte. Entschlossen warf sie den roten Lockenschopf nach hinten und erwiderte: »Zumindest väterlicherseits gibt es bei euch diese Tradition.«
Ein rascher Blick bestätigte ihr, dass sie die beabsichtigte Wirkung erzielt hatte. Ihre Base rang um Fassung und sah dann hastig über Magdalenas Schulter auf die beiden Schreiber. Auch wenn diese die Köpfe tief über die Pulte hielten, wusste Magdalena, dass die beiden jedes Wort belauschten.
Adelaides Mund verzog sich zu einem geraden Strich. Statt das unliebsame Gespräch fortzusetzen, klopfte sie ihrem Sohn auf die Schulter und stellte sich vor das mannshohe, offene Regal an
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