Hexengold
Carlotta ließ sich neben der Mutter nieder und schmiegte sich an den zierlichen Körper.
»Es gibt nichts mehr zu verraten.« Schlagartig verfinsterte sich Magdalenas Miene. Hastig schob sie Carlotta beiseite und erhob sich wieder. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte sie sich an das Regal beim Herd und schaute zum Fenster hinaus.
»Mich wundert, wie viel Glück wir bei dem Unfall gehabt haben.« Hedwig hatte die gereizte Stimmung sofort bemerkt. Geschäftig rührte sie in dem großen Topf, gab Salz hinein und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Im Allgemeinen ist der Montag ein schlechter Tag. So wechselhaft wie der Mond, dem er seinen Namen verdankt, so erscheint er uns auch. Hinzu kommt, dass wir heute, zwei Tage nach Martini, wieder einen Schwendtag haben.« Besorgt rollte sie mit den Augen und pustete sich eine ihrer dürftigen grauen Haarsträhnen aus der Stirn. »Wie die Woche anfängt, so wird es weitergehen. Wenn wir heute schon ein Unglück erleben, verheißt uns das für die nächsten Tage erst recht nichts Gutes.« Alle Farbe war aus ihrem runden Gesicht gewichen.
Magdalena legte ihr den Arm um die Schultern und sprach mit betont munterer Stimme. »Trotz allem haben wir noch sehr viel Glück gehabt. Der zerborstene Flaschenzug hätte weitaus Schlimmeres anrichten können. Renatas Liebster hätte tot sein können. Oder die Flaschen hätten eines der Pferde treffen und das zweite durchgehen lassen können. Keiner im engen Hof wäre entkommen. Also haben wir Glück im Unglück gehabt, und es hat letztlich nur einen böse erwischt. Und auch der hat das schwere Unglück gut überstanden. In den nächsten Stunden wird er die Augen aufschlagen. Das alles heißt nichts anderes, als dass wir für den Rest der Woche immer wieder mit einem blauen Auge dem Unheil entkommen werden.«
»Wollen wir hoffen, dass du recht hast.« Carlotta trat zu den beiden Frauen an den Herd und steckte die Nase in den aufsteigenden Dampf über dem Topf. »Was gibt es Gutes zu essen, Hedwig? Oder fällt unser Mittagessen wegen der ganzen Aufregung im Hof aus?«
Plötzlich kitzelte es ihr in der Nase. Der Mehlstaub von vorhin steckte wohl noch darin. Gerade noch rechtzeitig konnte sie den Kopf vom Herd abwenden, bevor sie heftig niesen musste.
»Wenigstens eine, die heute was Gutes erlebt.« Hedwig klopfte ihr sanft auf den Rücken.
»Oder aber die ganze Woche über großes Glück hat.« Magdalena schenkte den beiden ein aufmunterndes Lächeln und verließ die Küche.
8
An diesem Freitagmorgen herrschte im Kontor ruhige Geschäftigkeit. Zufrieden sah sich Magdalena in dem weiten Raum um. Kerzen und Talglichter spendeten ein helles, leicht zittriges Licht. Unstet huschten die Schatten über Wand und Boden. An den drei großen Fenstern zum Garküchenplatz rüttelte der Novemberwind, auch die Flügel der Dielentür klapperten im Luftzug. Vom Hof schallte Hermanns Stimme herüber. Es hatte zu regnen begonnen. Laut brüllend erteilte er den beiden Knechten und dem nach dem Unfall verbliebenen einzigen Ablader Befehle. So rasch wie möglich musste die neu eingetroffene Warenladung ins Trockene gebracht werden. Dabei vermissten die drei Männer nicht nur die tatkräftige Unterstützung von Renatas verunglücktem Liebsten. Auch das Fehlen des bei dem Unfall zerborstenen Flaschenzugs machte sich bitter bemerkbar. Die schweren Lasten mussten zu Fuß in die oberen Geschosse des Lagers befördert werden.
Fröstelnd rieb sich Magdalena die Arme, froh, unter diesen Bedingungen nicht draußen unterwegs zu sein. Wie schnell man sich an die Bequemlichkeiten eines Hauses gewöhnte, wunderte sie sich. Mehr als ihr halbes Leben hatte sie im kaiserlichen Tross zugebracht und kaum gewusst, wie es sich anfühlte, jahraus, jahrein unter einem trockenen Dach zu sitzen. Sie seufzte. Kaum lebte sie sieben Jahre in der Fahrgasse, schon war sie verzärtelt und störte sich bereits daran, dass das Brennholz nicht eifrig genug nachgelegt wurde, um für eine gleichbleibende Wärme zu sorgen. Dabei war der Ofen des Kontors bequem von der Hofseite her zu befeuern. Die Mägde vergaßen nur allzu gern, diese Aufgabe zu übernehmen, wenn Hermann und die beiden Knechte im Lager mit anpacken mussten. Eine weitere Angelegenheit, die Magdalena als Hausfrau nicht streng genug beaufsichtigte. Abermals seufzte sie und schlang sich das dicke Wolltuch enger um die Schultern.
Die beiden Schreiber hüllten sich ebenfalls tief in ihre Jacken. Ihre Hände
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