Hexengold
Begrüßungsfloskeln auf. »Das ist eine Essenz aus geriebenem Bernstein. Paracelsus lehrt uns, wie wir daraus ein wirksames Heilmittel gewinnen. Das will ich dir heute vorführen.«
Stolz hielt er einen Glaskolben mit einer roten Flüssigkeit gegen das Licht. Carlotta folgte seinem Blick. »Eine Essenz aus Bernstein? Ich denke, man soll den Stein auf der nackten Haut tragen, um Magen, Milz, Leber, Galle und Nieren zu stärken. Selbst Rückenschmerzen werden damit besser. Kleinen Kindern, die ihre ersten Zähne bekommen, empfiehlt meine Mutter sogar, eine Kette davon um den Hals zu tragen.«
»Deine Mutter ist eine kluge Frau.« Der Doktor wandte sich halb um und sah sie an. Sein rundes, faltenreiches Gesicht war freundlich wie immer. »Wenn sie dir bislang noch nichts von dieser Essenz erzählt hat, kann ich dir endlich einmal etwas Neues beibringen.« Er lachte. »Dabei bin ich mir sicher, dass sie trotz allem über Bernstein weitaus mehr weiß als ich. Sieh hier diese Schalen, Carlotta. Was entdeckst du darin?«
Seine Hand war schmal und feingliedrig. Vom Hantieren mit Säuren und Tinkturen war die Haut spröde geworden. Carlotta beschloss, ihm später den Ringelblumenbalsam der Mutter zu bringen. Interessiert betrachtete sie den Inhalt der Schale. »Zerstoßener Bernstein also, allerdings weißer Bernstein, nicht wahr?«
»Genau.« Zufrieden nickte Doktor Petersen. Es gefiel ihm, wie rasch sie begriff. Das war auch der Grund, weshalb sie seit Monaten zu ihm in die Offizin kommen durfte. Die beiden Gehilfen sahen es mit Missgunst, auch der fast erwachsene Sohn, der meist vorn am Tresen die Kundschaft bediente, machte wenig Hehl aus seinem Missfallen. »Zu dem gepulverten Bernstein habe ich destillierten Essig gegeben und ihn etliche Tage sieden lassen. Ergebnis ist die rote Farbe, sieh, hier.« Wieder hob er den Kolben hoch. »Diese Flüssigkeit werden wir nun dreimal filtrieren und zum Abschluss mit Zitronensaft versetzen. Fertig ist unsere Rezeptur.«
»Die wird nicht sonderlich wohl schmecken«, stellte Carlotta fest und verzog leicht den Mund.
»Wie kommst du darauf?« Belustigt schwenkte Petersen den Kolben dicht vor ihrer Nase.
»Das ist doch naheliegend!« Carlotta ging ganz in der neuen Aufgabe auf. »Bernstein wird wie Harz schmecken, und das ist wohl kaum mit dem Genuss von Honig oder Latwerge zu vergleichen.«
»Kluges Mädchen! Fast könnte man meinen, du hättest bereits davon gekostet.« Der Doktor schmunzelte. Carlotta fiel auf, wie emsig er darauf bedacht war, die Lippen geschlossen zu halten. Seit einiger Zeit hatte er Probleme mit den Zähnen. Der üble Geruch seines Mundes und das Bemühen, niemanden hineinsehen zu lassen, waren untrügliche Zeichen. Seit einigen Tagen schon grübelte sie, ob sie ihm raten sollte, ihre Mutter aufzusuchen. Die war nicht nur im Ziehen von Zähnen sehr umsichtig, so dass die Patienten keinen unnötigen Schmerzen ausgesetzt waren. Auch die Behandlung von entzündetem Zahnfleisch mit duftenden Pasten aus Veilchen, Lavendel, Leinöl oder Safran beherrschte sie.
»Du weißt«, fuhr Petersen unterdessen fort und wandte sein Augenmerk wieder ganz auf die Glaskolben, »Medizin schmeckt meist nicht sehr gut. Bös muss bös vertreiben, heißt es. Aber so schlimm ist es mit dieser Essenz nicht. Man kann sie übrigens noch mit Rosenöl und Honig mischen, was sie schmackhafter macht. Wichtig ist, dass man sie gegen allerlei Beschwerden einsetzen kann: praktisch alles, was Herz und Magen betrifft, sowie die verschiedensten Steinleiden. Auch bei Katarrhen und Fieber leistet die Essenz gute Dienste. Das ist von alters her bekannt.«
»Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich meiner Mutter davon berichte?« Fasziniert betrachtete Carlotta das zu feinem Pulver zerstoßene Gestein. »Dieser milchig weiße Bernstein hat so wenig mit dem honiggelben gemein, den man zum Beispiel in der Kunstsammlung von Herrn Morel bewundern kann. Auch die Händler auf der Messe haben stets andere Steine im Angebot.« Sie verschwieg, dass auch ihre Mutter verborgen zwischen ihren Brüsten ein besonders prachtvolles Exemplar mit einem völlig intakten, schwarzen Insekteneinschluss trug. Der Vater hatte ihn ihr vor etlichen Jahren als Glücksbringer geschenkt. Niemandem zeigte sie das Stück, das beim Verkauf ein Vermögen einbringen musste.
»Ja, nur zu, sag deiner Mutter, was du heute Neues bei mir gelernt hast. Ich freue mich, wenn ich ihr etwas zeigen kann, was sie vielleicht noch nicht kennt. Es
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