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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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der Wandseite gleich links neben der doppelflügeligen Dielentür. »Hast du deine Salben und Pasten sortiert?«, fragte sie, ohne Magdalena anzusehen.
    »Ja.« Magdalena beobachtete, wie Adelaides schlanke Finger suchend über die aufgereihten Bücher wanderten. Das Interesse an den Wundarztutensilien überraschte sie. Schon lag es ihr auf der Zunge, die Base auf den Fehlbestand bei der Wundersalbe anzusprechen. Dann aber hielt sie sich zurück. Adelaide konnte wenig mit der Paste anfangen und neigte zudem nicht zu Heimlichtuerei. Bislang hatte sie noch immer offen nach allem verlangt, was sie brauchte. Wahrscheinlich war es reine Höflichkeit, dass sie sich nach den Salben erkundigt hatte. Neugierig, warum sie sich so ausgiebig mit den Kontorunterlagen im Regal beschäftigte, sah Magdalena ihr genau auf die Finger. Die schweinsledernen Einbände der Bücher zierten kleine Zettel, auf denen in steiler Kanzleischrift Jahreszahlen und Stichworte zu den Inhalten vermerkt waren. Plötzlich hielt Adelaide inne. »Eigenartig«, murmelte sie. »Nirgendwo ist Vinzents Schrift zu erkennen.«
    »Du musst dich täuschen.« Verwundert stellte sich Magdalena ebenfalls dicht vor das Regal und besah sich die Zettel. »Stimmt, das hat alles Eric geschrieben. Das ist eindeutig seine Handschrift. Hier, schau: So eckig zieht nur er die Unterstriche, auch das S und das W erkenne ich, ebenso ist es seine Art, Zahlen zu schreiben. Du hast recht. Kein einziges der Bücher ist von Vinzent beschriftet. Wie kann das sein?«
    Ohne Vorwarnung drehte sie sich zu Walther und Otto um. Die beiden hatten abermals nicht mit ihrer Schnelligkeit gerechnet. Erst in diesem Moment versuchte Walther, so zu tun, als beschäftigte er sich stur mit seiner Arbeit.
    »Ja«, antwortete Otto unterdessen eifrig, legte die Feder beiseite und trat zu ihnen. »Soweit ich weiß, hat sich allein der verehrte Herr Grohnert um den Schriftverkehr des Kontors gekümmert. Es sei denn, es gibt noch andere Bücher. Dann aber müsste Steinacker selig auf eigene Rechnung vom Kontor gehandelt haben. Das hier«, er vollführte mit seinen kurzen Armen einen weiten Bogen durch das Kontor und legte ausdrücklich viel Stolz sowohl in die Bewegung als auch in seine Worte, »ist alles in sich stimmig. Da fehlt keine einzige Zahl und keine einzelne Zeile über eine Lieferung ans Kontor oder von unserem Kontor weg.«
    »Danke.« Magdalena bedeutete ihm, an seinen Platz zurückzukehren.
    »So war er nun einmal, mein guter Vinzent.« Unterdessen tupfte sich Adelaide mit einem spitzenbesetzten Taschentuch die Augenwinkel. Aufdringlicher Lavendelduft umgab sie. Magdalena schwante etwas, was die Fehlbestände in ihrem Schrank betraf. Halb nur hörte sie hin, als Adelaide weiterredete: »Gegen alles Schriftliche hatte mein armer Vinzent eine tiefe Abneigung. Auch drüben in der Sandgasse habe ich keine Aufzeichnungen von ihm gefunden.« Tränen glitzerten in ihren geschwungenen Wimpern, dennoch lächelte sie bei der Erinnerung.
    »Seltsam, dass er dann den Gläubigern aus Mainz einen so langen Brief …«, setzte Mathias an, um sofort durch ein wütendes »Still!« von seiner Mutter zurechtgewiesen zu werden. Im nächsten Moment schon hatte sich Adelaide wieder auf das Gehabe der trauernden Witwe besonnen. Sie schneuzte ins Taschentuch und schüttelte den Kopf.
    »Du Arme!« Sanft berührte Magdalena sie am Arm. »Ich erinnere mich. Nur zu gern hat Vinzent Eric die schriftlichen Arbeiten rund um das Geschäft überlassen und sich stattdessen lieber um die Waren im Lager oder im Hafen gekümmert. Das Unglück mit dem Flaschenzug wäre zu seiner Zeit nicht passiert. Viel zu gut hatte er im Blick, ob alles funktioniert, etwas ausgebessert oder ausgetauscht werden muss. Da siehst du mal, wie sehr er uns fehlt.«
    »Wem sagst du das?« Adelaide schluchzte auf.
    Insgeheim wunderte es Magdalena, dass bislang weder Eric noch sonst jemand ein Wort über die fehlenden Aufzeichnungen Vinzents verloren hatten. Das musste doch irgendwem einmal aufgefallen sein. Schon fragte sie sich, ob es überhaupt fassbare Zeugnisse seiner Tätigkeit im Kontor gab. Ihr Blick fiel auf die große Landkarte rechts neben dem Regal. Mit Stecknadeln hatte Vinzent die Häfen und Messen markiert, an denen sie durch die verschiedensten Kontakte vertreten waren. Das war wohl das Einzige, was letzten Endes von seinem Wirken im Geschäft kündete. Ansonsten war er in dem Kontor wie ausgelöscht. Bitter, wie schnell sich die

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