Hexengold
sich die Tür hinter ihr schloss. Dann schaute sie mahnend zu den Schreibern, die wieder eifrig die Köpfe über die Pulte beugten, und ging zurück zu ihren Salbentiegeln.
Ein kurzer Blick auf die Phiolen mit Rosen- und Lavendelöl genügten, um zu wissen, warum Adelaide sich vorhin so interessiert danach erkundigt hatte. Die Vorräte waren ebenfalls geschrumpft. Angesichts der weitaus wertvolleren anderen Tinkturen waren die entwendeten Öle jedoch kaum erwähnenswert. Es war ein Leichtes, bei Doktor Petersen günstig Nachschub zu erhalten. Viel schlimmer wogen die anderen beiden Verluste. Als Magdalena an den verlorenen Bernstein sowie an den geräuberten Bestand der Wundersalbe dachte, wurde ihr flau. Kusine Elsbeth hatte sie auch bestohlen, so wie Adelaide es nun tat. So vieles in ihrem Leben wiederholte sich, leider waren es die weniger guten Ereignisse. Zwar sträubte sich alles in ihr, Adelaide für die verschwundenen Schätze verantwortlich zu wissen. Andererseits geschahen seit ihrem Einzug in der Fahrgasse eigenartige Dinge. Sie musste Hedwig beipflichten. Schwendtage standen unter keinem guten Stern. Daran hatte sich auch in Friedenszeiten nichts geändert.
»Das kann nicht sein!« Erbost knallte Mathias den Griffel auf den Tisch. Aufgeschreckt fuhr Magdalena herum. Gerade noch sah sie, wie der halbwüchsige Knabe vom Stuhl aufsprang und der Schiefertafel einen heftigen Stoß versetzte. Sie krachte zu Boden und zerschellte auf den harten Holzdielen in tausend Splitter. Die beiden Schreiber grinsten.
»Was soll das?« Wütend eilte Magdalena auf Mathias zu. Als sie mit der Rechten ausholte, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen, wurde ihr im selben Moment klar, welch lächerliche Figur sie abgab: Mathias überragte sie schon fast um Haupteslänge. Spöttisch sah er mit seinen funkelnden, dunklen Augen auf sie herab, beide Hände halb erhoben, als wartete er nur auf ein Zeichen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
Sie spürte die Blicke der Schreiber im Rücken. Gern hätte sie die beiden hinausgeschickt, doch für eine Pause war es zu früh am Tag. »Habt ihr nichts zu tun?«, herrschte sie Walther und Otto an. »Wenn ihr bis Mittag eure Arbeit nicht erledigt habt, lasse ich euch die Suppe hierherbringen.«
Hörbar sog der kahlköpfige Otto die Luft ein und wandte sich wieder seinen Papieren zu. Viel zu gern aß er drüben in der Küche mit dem Gesinde. Der Anblick der beiden Mägde und die derben Scherze der Knechte gefielen ihm. Der dürre Walther dagegen zuckte mit den Schultern. Ihn scherte das wenig. Erst als sie Anstalten machte, zu ihm zu kommen und seine Arbeit zu kontrollieren, gab er nach und begann wieder zu schreiben.
»Zeig mir, was du da gerechnet hast«, forderte sie Mathias auf und bemühte sich um einen ruhigen Ton. Ihre Finger zitterten, als sie nach dem Buch griff, das aufgeschlagen auf dem Pult lag. »Schade, dass du deine Tafel zerbrochen hast. So fehlt jede Möglichkeit, den Fehler in deiner Rechnung aufzuspüren. Wahrscheinlich hast du wieder mal selbst nicht lesen können, was du geschrieben hast.«
»Wer sagt denn, dass ich mich verrechnet habe?« Seine aufgebrachte Stimme überschlug sich, und sein blasses Stubenhockergesicht überzog sich mit dunkler Röte. Hastig bückte er sich und begann, mit den langen, ungeschickten Fingern die Reste der Tafel zusammenzuscharren.
»Das werden wir wohl gleich wissen.« Magdalena sagte das mehr zu sich selbst als zu Mathias. Das aufgeschlagene Buch dicht vor den Augen, trat sie direkt ans Fenster. Das dämmrige Licht erschwerte es, die Einträge im Kontorbuch deutlich zu erkennen. Die eng beieinanderstehenden Zahlen begannen vor ihren Augen zu flimmern. Sie kniff die Lider zusammen und starrte angestrengt auf die Seiten. »Seltsam«, murmelte sie. Es fiel ihr schwer zu glauben, was sie da auf den Seiten des penibel geführten Buches entdeckte.
»Sag ich doch«, piepste Mathias. »Was Onkel Eric da gerechnet hat, kann nie und nimmer stimmen. Oder er hat von vornherein falsche Zahlen zugrunde gelegt. Dann frage ich mich nur, warum.« Den Blick starr auf Magdalena gerichtet, hörte er auf, sich um die Schiefersplitter zu bemühen. Stattdessen entfaltete er seine schlaksige Gestalt zu ganzer Länge und lächelte triumphierend. Mit einem hastigen Tritt fegte er die Überreste der Tafel unter den Tisch.
Missbilligend schüttelte Magdalena den Kopf und vertiefte sich weiter in die sauber aufgereihten Zahlenkolonnen. Eindeutig stammten sie aus
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