Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
Schuld gegeben, weil ich nicht genug aufgepasst hätte und irgendjemand hat gemeint, vielleicht hätte ich sie ja verhext, weil sie mir immer schon angemerkt hätten, dass mir die Arbeit eigentlich zuwider gewesen sei.«
»War sie das?«
Niklas nickte. »Ein ganzes Leben lang Schweine hüten?«, fragte er niedergedrückt.
»Und dann?«
»Sie haben mich fortgejagt und gesagt, ich solle mich hier nicht mehr blicken lassen und froh sein, dass sie mir keinen Prozess wegen Schadenszauber anhängen. Aber ich war es wirklich nicht, glaubt mir. Vielleicht war es sogar der Schafhirte oder einer von denen selbst, dem ein Schwein gehört hat und der einem anderen etwas auswischen wollte.«
»Was sagen deine Eltern dazu?«
»Mein Vater ist bei der Fronarbeit von einem Burgturm gefallen und meine Mutter ist letztes Jahr auch gestorben. Sie hat sich ein Bein gebrochen.«
»Geschwister?«
»Habe ich auch keine. Es ist keines älter als zwei Jahre geworden – nein, der …«, er suchte nach dem Namen, »der … ja, der Urs wurde drei.«
»Soso«, sagte Nider und sah ihn durchdringend an, »und wie soll es weitergehen?«
Niklas wich seinem Blick nicht aus. »Hier habe ich nichts mehr verloren, da will niemand mit mir etwas zu tun haben, weil sie fürchten, ich könnte ihr Vieh verderben. Etwas anderes als Viehhüten kann ich aber nicht. Ich werde versuchen, irgendwohin zu kommen, wo mich niemand kennt. Ich möchte ein ehrliches Leben und etwas lernen. Aber ein Steinmetz hat mir geantwortet, ich sei ihm zu alt zum Lernen, weil ich wahrscheinlich schon zu aufmüpfig sei und ein Müller hat mich hinausgeworfen, weil er nicht wolle, dass sein Mehl nach Saustall stinke.«
»Was würdest du wirklich gerne lernen, also nicht, was für dich jetzt gerade das Naheliegendste ist, sondern das, was du dir ganz tief drinnen wünschst?«
»Lesen«, sagte Niklas und senkte die Augen.
»Und warum ausgerechnet das?«
»Ich habe schon Bücher gesehen, für mich sieht das aus wie …«, er suchte nach einem passenden Wort, »ich weiß nicht, ich sehe da keinen Sinn in den vielen Zeichen, weiß aber, dass einer dahinter ist. Ich weiß, dass zwischen den zwei Deckeln eine andere Welt ist, von der ich ausgeschlossen bin und von der ich nie etwas erfahren werde.«
Nider sah auf den zerlumpten und stinkenden Jüngling und erkannte in ihm plötzlich sich selbst. Genau so hätte er wahrscheinlich in seinem Alter auch ausgesehen, wenn ihn nicht der Abt in die Schule geholt hätte. »Kommt«, sagte Nider in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, »komm, gehen wir. Du wirst lesen lernen, wenn du es wirklich willst. Stell es dir aber nicht zu einfach vor. Vielleicht wünschst du dir noch oft, wieder ein Schweinehirt zu sein!«
Niklas war verwirrt und verstand gar nichts mehr. Da überfiel er einen Mönch, hielt ihm sein Messer vor den Bauch, nahm ihm die halbe Reiseverpflegung ab, beleidigte ihn und dieser wollte ihm dafür auch noch Gutes tun.
Immer noch beschämt stand er nun im Klosterhof neben Nider und wagte es kaum, seinen Kopf zu heben. Schon dreimal wollte er den Mönch um Verzeihung bitten, aber dieser hatte ihn jedes Mal schroff abgewiesen. »Danke lieber dem Herrn, dass er dich zu mir geführt hat!«
Oben auf der Treppe öffnete sich eine Türe, durch die sich eine großgewachsene Gestalt schob und dann über die Stufen herab schritt.
»Bruder Johannes Nider! Gelobt sei Jesus Christus, es freut mich, Euch hier zu sehen!«
Die beiden Mönche verbeugten sich und Nider erwiderte den Gruß. »Auch ich freue mich, Euch zu sehen, Bruder Bartholomäus! Das ist Bruder Bartholomäus Texery, der General unseres Ordens«, stellte er ihn seinem Begleiter vor.
»Wen habt ihr denn da mitgebracht?« Texery musterte den verdreckten und abgerissenen Jungen abweisend.
»Niklas Hügli heißt er. Ich habe ihn unterwegs aufgelesen und er möchte lesen und schreiben lernen.«
»Soso. Lesen und Schreiben. Was hast du bisher gemacht?«
»Ich war Schweinehirte«, antwortete Niklas verlegen und wäre am liebsten in einem Mauseloch verschwunden. »Liebe Muttergottes«, flehte er inbrünstig aus der Tiefe seiner Seele, »hilf mir, dass der Pater Johannes ihm nichts von dem Überfall erzählt! Sonst werfen sie mich ins Gefängnis und hängen mich dann vor dem Stadttor am Galgen auf!«
»Soso«, wiederholte Texery, »Schweinehirte also. Und was willst du dann mit Lesen und Schreiben? Willst du dich auf lateinisch mit deinen Schweinen unterhalten und
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