Hexenkessel
Vertrauten hatte, einen Stellvertreter, wenn man so will. Einen Mann namens Joel Brand.« Tweed beobachtete Linda aufmerksam und sah, wie ihre Augen flackerten. Sie war also gegen sein betont gleichmütiges Verhalten keineswegs immun. »Haben Sie schon einmal von ihm gehört?«
»Ja. Sowohl Cheryl als auch Julie haben von ihm gesprochen.«
»Was hielten sie von ihm? Mochten sie ihn nicht?«
»Soviel ich weiß, kamen sie gut mit ihm aus. Beide sagten, er hätte sich ihnen gegenüber immer höflich und korrekt verhalten.«
»Hat er einer von ihnen - oder beiden - einmal Avancen gemacht? Sie irgendwie bedrängt?«
»O nein. Nichts dergleichen.«
»Hat eine Ihrer Schwestern mit Ihnen über das gesprochen, was VB tat oder plante?«
»Nein.« Linda schüttelte den Kopf. »Beide zeigten sich sehr verschlossen, wenn ich dieses Thema ansprach. Ich glaube, das war ein Bestandteil ihres Vertrages - sie mußten über alles, was sie in Black Ridge sahen oder hörten, absolutes Stillschweigen bewahren. Und Moloch entlohnte sie sehr großzügig. Ich weiß nicht genau, wieviel sie verdienten, aber sie fingen an, sich immer kostspieliger und aufwendiger zu kleiden.«
»Irgend etwas müssen sie Ihnen über VB doch gesagt haben. Immerhin waren Sie ihre Schwester.«
»Nicht ein Wort.«
»Und haben Sie aufgrund ihrer Erzählungen einen Eindruck von der Beziehung zwischen VB und Joel Brand gewonnen? Wissen Sie, wer die eigentliche Macht ausübte?«
»Brand leitete meines Wissens nach die meisten Operationen. Aber es war VB, der die Entscheidungen traf. Brand führte sie nur aus. Er hatte nur eine eingeschränkte Befehlsgewalt.«
»Gab es unter VBs Personal jemanden, den Cheryl oder Julie nicht mochten?« bohrte Tweed weiter.
»Allerdings. Beide konnten seinen Buchhalter Byron Landis nicht ausstehen.«
»Darf ich fragen, warum sie diesen Mann verabscheuten?«
»Natürlich. Er behandelte sie wie unerwünschte Eindringlinge. Wenn VB eine von ihnen losschickte, um bestimmte Unterlagen bei Landis abzuholen, bestand der immer darauf, sie VB persönlich zu überbringen - als ob sie Spione gewesen wären!«
»Seltsam.« Tweed trank einen Schluck Kaffee und lehnte sich dann entspannt in seinem Sessel zurück. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie meine Fragen so offen beantworten. Ach, übrigens, VB hat doch bestimmt einen privaten Ermittler engagiert, der versuchen sollte, Ihre Schwestern zu finden?«
Linda Standish hatte bislang alle seine Fragen sofort beantwortet, aber jetzt zögerte sie. Die Unterredung geriet ins Stocken. Sie hob eine Hand und strich sich damit über ihr glattes braunes Haar.
»Warum sollte er das tun?« fragte sie schließlich.
Sie hatte falsch reagiert, hätte sagen sollen, sie hoffe doch sehr, daß er das getan habe - oder etwas Ähnliches.
»Ein naheliegender Schritt, würde ich meinen«, bemerkte Tweed.
»Nun, falls er das wirklich getan hat …«, Linda hatte ihre Fassung zurückgewonnen, »dann weiß ich leider nichts davon.«
Tweed beendete das Gespräch, indem er ihr nochmals sein Beileid ausdrückte. Dann bot er ihr an, ein Taxi zu rufen, was sie mit der Bemerkung ablehnte, sie würde bei dem schönen Wetter lieber zu Fuß gehen.
Als er im Taxi saß, das ihn zum Park Crescent zurückbrachte, überlegte Tweed, was er erreicht hatte. Linda Standish hatte gelogen. Warum? War sie von VB engagiert worden? Und wenn sie in diesem Punkt die Unwahrheit gesagt hatte - waren ihm dann von ihr vielleicht noch weitere Lügen aufgetischt worden?
15.
Als er am Park Crescent ankam, öffnete ihm George, der Wachmann und ehemalige Polizeisergeant, der seit Jahren für Tweed arbeitete, die Tür. Der kleine, agile Mann mit dem energischen Kinn legte einen Finger an die Lippen und flüsterte ihm etwas zu.
»Ein Besucher sitzt im Wartezimmer. Chefinspektor Buchanan. Monica sagte, ich solle Sie warnen, Mr. Tweed.«
»Danke, George.«
Tweed öffnete die Tür und spähte in den Warteraum, wo Buchanan saß und gelangweilt einige Zeitschriften durchblätterte. Er begrüßte den Chefinspektor und bat ihn nach oben.
»Jetzt weiß ich, wie man sich fühlt, wenn man in einer Gefängniszelle hockt«, scherzte Buchanan, als sie Tweeds Büro betraten. »Diese Tür hat ein Schnappschloß.«
»Wir müssen gewisse Sicherheitsvorkehrungen treffen. Möchten Sie etwas trinken, Roy? Tee? Kaffee?«
»Danke, im Moment nicht.« Er blickte zu Monica hinüber, nachdem er Platz genommen hatte. »Obwohl Monica einen ausgezeichneten
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