Hexenkind
Trödel überall um sie herum.
»Unsere Requisiteurin meinte, dieses Restaurant sei etwas Besonderes in der Toskana, absolut einzigartig, etwas Ähnliches gebe es in der ganzen Gegend nicht. Die Tische seien jeden Abend ausgebucht, aber vor allem sei das Essen außergewöhnlich gut«, erklärte er, als müsse er sich rechtfertigen.
Elsa grinste. »Klar, dass eine Requisiteurin das sagt, denn etwas Derartiges habe ich wirklich noch nie gesehen.«
Als sie saßen, gewählt hatten und die Weingläser in ihren Fingern drehten, sagte er ihr, dass er nach Hause müsse. Für einige Wochen. Nicht länger.
Elsa wurde blass. »Dann ist dies also unser Abschiedsessen? Unsere Henkersmahlzeit?«
»Ich komme wieder«, versprach er, und er wusste in diesem Moment was er sagte. Er war ganz klar im Kopf und erinnerte sich auch am nächsten Morgen noch daran.
»Ich dachte, wir feiern zusammen Weihnachten.« Elsa starrte auf den Tisch und zerdrückte die Borte der Tischdecke.
»Ich dachte, du feierst mit deinem Vater und deinem Bruder?«
Elsa schüttelte den Kopf. »Keine Lust. Meine Mutter ist allgegenwärtig. Irgendwann reden wir nur noch über sie, und dann endet der Abend in einer allgemeinen Depression. Das muss ich nicht haben.«
»Das tut mir leid.«
»Wo feierst du?«
»Gar nicht. Weihnachten interessiert mich nicht. Schon seit Jahren nicht mehr. Seit meine Frau mit meiner Tochter abgehauen ist, habe ich nie mehr gefeiert.«
»Oh!« Elsa zuckte zusammen. »Wann war das?«
»Vor sechzehn Jahren.«
»Und warum ist deine Frau abgehauen?«
»Keine Ahnung.« Er presste die Lippen aufeinander. »Sie hat es mir nie gesagt.«
»Und deine Tochter?«
»Ich habe sie nie wiedergesehen.«
Die Kellnerin brachte eine toskanische Vorspeisenplatte mit verschiedenen Wurst- und Schinkensorten und unterbrach dadurch das Gespräch.
»Buon appetito«, meinte er und lächelte unglücklich.
Er ist ganz sanft heute Abend, dachte Elsa, ganz ruhig und überlegt, dabei hatte sie ihn vor drei Tagen auf dem Antikmarkt in Arezzo ganz anders kennengelernt.
Sie waren zusammen über die Piazza und durch die kleinen Gassen der Altstadt geschlendert. Überall hatten Händler ihre Stände aufgebaut, um das Weihnachtsgeschäft nicht zu verpassen. Man brauchte Stunden, um alle Straßen abzugehen und alles zu sehen.
Er war in seinem Element. Während Elsa ihre Blicke eher oberflächlich über Trödel, Krimskrams, Krempel, aber durchaus auch kleine antike Kostbarkeiten schweifen ließ und darauf wartete, dass ihr irgendetwas Besonderes auffiel, begutachtete er jede Kleinigkeit. Jeden Ring, jede winzige Lupe, jeden Stein, jedes Buch, jeden verrosteten Schlüssel, jede Postkarte, jede Türklinke aus Messing, jeden
uralten Lampenschirm, jede silberne Gabel und jede Untertasse nahm er in die Hand und erkundigte sich nach den Preisen.
Arm in Arm zogen sie durch die alten Gassen und staunten über tausenderlei Dinge, tranken einen Espresso in einer Bar und stöberten weiter. Unter den Arkaden, die zu der größten Piazza Arezzos führten, entdeckte er an einem der Stände ein goldenes Armband, das er für Elsa kaufen wollte. Er drehte und wendete es, hielt es gegen das Licht, ließ die einzelnen beweglichen Glieder durch seine Finger gleiten, diskutierte mit dem Verkäufer und konnte sich einfach nicht entscheiden.
»Wie gefällt es dir?«
»Es ist ein Traum. Ich hatte noch nie ein Armband. Mein ganzes Leben lang nicht.«
»Du musst es wissen. Wenn es dir wirklich gefällt, kaufe ich es dir.«
Elsa fühlte sich wie in einer Zwickmühle. Sie wollte das Armband. Sie wollte es jeden Tag tragen und sehen und fühlen und an ihn erinnert werden, aber sie wollte es nicht hier an einem Stand in die Hand gedrückt bekommen. Das war keine Überraschung und nicht romantisch, sondern hinterließ ein schales Gefühl, vor dem sie sich fürchtete. Elsa wollte, dass er ihr im Bett oder beim Frühstück ein Geschenk machte, mit dem sie nicht gerechnet hatte, und ihr dabei sagte, wie sehr er sie liebte, aber sie wollte nicht zusehen, wie er das Geschenk für sie bezahlte und seine letzten Münzen zusammensuchte.
»Lass uns gehen«, flüsterte sie, aber das hörte er nicht, da er mit dem Verkäufer am Stand bereits über den Preis verhandelte. Elsa begann sich zu schämen, sie wäre am liebsten
in der Erde versunken. Sie hatte das Gefühl, selbst das Objekt des Verhandelns zu sein.
In diesem Moment fing ein kleiner Hund, der bisher ruhig unter dem Tisch
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