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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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gelegen hatte, wie verrückt an zu bellen. Er hatte einen anderen, größeren Hund gesehen, der mit seinem Herren am Stand vorbeiging, und flippte völlig aus. Er sprang in die Luft und kläffte sich die Kehle aus dem Hals.
    Bei diesem Krach war es unmöglich, weiterzuverhandeln, und genervt gab ihm der Händler einen Tritt, sodass der kleine Hund durch die Luft flog und vor Schreck aufhörte zu krakeelen. Danach blieb er platt wie eine Flunder auf dem Asphalt liegen.
    Er brauchte noch nicht einmal eine Sekunde um auszurasten. Er ließ das Armband fallen, machte zwei lange Schritte am Verkaufstresen vorbei und schlug direkt zu. Mit einer solchen Wucht, dass Elsa den Kiefer krachen hörte.
    Der Verkäufer war so überrascht, dass er sofort zu Boden ging.
    Er schlug immer und immer wieder zu. In den Magen, auf die Brust, gegen die Schulter, ins Gesicht.
    »Hör auf!«, schrie Elsa. »Bist du wahnsinnig geworden? Amadeus, hör auf!«
    Aber er hörte nicht auf. Er bekam nichts mit, was um ihn herum geschah, sondern schlug zu wie eine Maschine, wie im Rausch.
    »Willst du ihn totschlagen?« Elsa stürzte sich auf ihn und versuchte, ihn von dem auf dem Boden liegenden Verkäufer, der aus der Nase blutete, wegzuziehen, aber genauso hätte sie versuchen können, einen Elefanten zur Seite zu schieben. In seiner Rage entwickelte er ungeheure Kräfte.
    Jetzt stürzten sich auch Passanten auf ihn. Zwei Männer rissen ihn hoch. Er trat den Verkäufer noch, bevor er selbst auf die Straße flog und sich mühsam hochrappelte.
    Das brachte ihn zur Besinnung. Elsa nahm ihn am Arm. »Komm! Komm, schnell weg hier.« Sie zog ihn durch einen Pulk von Menschen, die sich an den Ständen entlangschoben, und hörte noch, wie ihnen die Italiener »stronzo!«, »cazzo!« und »sporcaccione!« hinterherbrüllten.
    »Du hättest ihn ja beinah totgeschlagen«, sagte sie erst drei Straßen weiter.
    »Ach was.« Das war alles. Sein einziger Kommentar.
    Elsa war erschrocken über diesen Wutausbruch. Sie sah ihn von der Seite an, als sie langsam zurück zum Auto gingen. Er war ihr plötzlich so fremd. Fremder als am ersten Abend, als er nackt am Fenster gestanden und wie ein Verrückter Klavier gespielt hatte.
    Als sie den Antikmarkt verließen, legte er den Arm um sie und drückte sie an sich.
     
    Doch an diesem letzten Abend bei ihrem Abschiedsessen in Asciano war er so zärtlich, sanft und ruhig, dass Elsa sich kaum noch vorstellen konnte, dass er auch ganz anders sein konnte.
    »Ich schwöre dir, dass ich wiederkomme«, flüsterte er und nahm ihre Hand. »Ich schwöre es dir.«
    Sie aß eine Olive, nickte und lächelte, aber war sich überhaupt nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte.
    »Ich lebe allein, ich habe keine Freundin, niemanden, der auf mich wartet oder der mich interessiert. Ich habe doch nur dich. Warum sollte ich da nicht wiederkommen?«
    »Ich werde auf dich warten.«

    »Es geht wirklich nur darum, dass ich unbedingt wieder etwas verdienen muss. Ich werde versuchen, einen oder zwei Filme an Land zu ziehen. Und wenn ich die Verträge unterschrieben habe, komme ich wieder.«
    »Aber bei mir kannst du doch nicht arbeiten?«
    »Ich kaufe ein Klavier. Was hältst du davon? Und deine Freundin schmeißen wir raus, dann ist genug Platz für uns zwei.«
    Er beugte sich über den Tisch und küsste sie auf den Mund.
    »Verdammt noch mal, Elisabetta, ich überlege schon die ganze Zeit, was mit mir los ist. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich liebe dich wirklich.«

62
    Am nächsten Morgen um acht Uhr fünfundzwanzig brachte Elsa ihn zum Bahnhof. Er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihm gar nicht gut ging um diese Zeit. Blass und mit dunklen Augenringen rang er nach Luft, als er seinen Koffer die Treppe zum Gleis 3 hinaufschleppte.
    Auch Elsa glaubte schon den ganzen Morgen ersticken zu müssen. Als der Wecker um halb sieben geklingelt hatte, war ihr erster Gedanke: Jetzt ist es also doch so weit, heute fährt er, und alles ist vorbei. Es war eben nur ein schöner Traum.
    Sie fuhr mit der Hand unter die Bettdecke, streichelte seinen ganzen Körper bis er wach war, küsste ihn, kuschelte sich in seine Armbeuge, um seinen Geruch noch einmal tief einzuatmen, und schwang schließlich – schweren Herzens – die Beine aus dem Bett. Unter der Dusche beeilte sie sich. Sie wollte keine Minute, die ihr mit ihm noch blieb, verpassen.
    Als sie fertig angezogen in die Küche kam, deckte er gerade den Tisch und kochte Kaffee. Er

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