Hexenkind
nichts, Papa. Er ist einfach phantastisch.«
Mehr erzählte sie nicht, und mit ihm zusammen in Montefiera vorbeizukommen, lehnte sie ab.
Nach zehn Tagen rief ihn Gunda an. »Verdammt noch mal, wo bist du?«, schnauzte sie. »Ich dachte, du bist nur zum Festival in Siena, und jetzt hockst du da schon ewig!«
»Na und? Das kann dich doch nicht kratzen.«
»Doch, das kratzt mich, mein Lieber. Ich habe zwei Filmangebote, zu denen du die Musik schreiben könntest, aber die Leute wollen mit dir reden, und dazu müsstest du deinen Arsch allmählich mal hierherbewegen.«
»Sind die Filme fertig?«
»Im Rohschnitt, ja.«
»Dann schick mir’ne Kassette.«
»Bist du völlig verrückt geworden?« Gundas Stimme bekam eine Tonlage, die ihm in den Ohren wehtat, und er hielt den Hörer dreißig Zentimeter vom Kopf weg. »Wie lange willst du denn in dieser verdammten Stadt noch rumhängen? Hä? Was tust du denn da zum Teufel? Du meldest dich nicht, du arbeitest nicht, liegst du nur den ganzen Tag im Bett und säufst?«
Er überlegte, ob er sich das alles wirklich anhören musste. In Gedanken sah er ihre überschminkten Lippen und ihre mit grellrotem Lippenstift beschmierten Schneidezähne vor sich, was er ekelhaft fand. Er dachte an ihren Leberfleck zwischen den Brüsten, der ihn immer maßlos gestört hatte, an ihre orange gefärbten strohigen Haare, aus denen die Schuppen auf den Tisch rieselten, wenn sie aß,
an die Krampfadern in ihren Waden, vor deren Knoten er immer erschrocken zurückzuckte, wenn er sie aus Versehen berührte. Er sah ihre ebenso grell lackierten und gespenstisch gebogenen Fingernägel vor sich und hörte ihr Kichern, wenn sie sich abmühte, mit ihren langen Krallen seine Hose zu öffnen, um ihm wenig später laut schnaufend und als Zeichen ekstatischer Lust, die er ihr noch nie geglaubt hatte, den Rücken zu zerkratzen.
All das widerte ihn an. Es stimmte schon, er brauchte dringend einen neuen Auftrag, er musste schleunigst wieder einen Film machen, denn der Stoff kostete ein Heidengeld – aber nicht um diesen Preis.
Vielleicht war es auch der Gedanke an die zarte Elisabetta, die unter seinen Berührungen schier zu zerfließen schien, dass er »leck mich am Arsch« ins Telefon brüllte und auflegte.
Das konnte das Ende seiner Filmkomponistenkarriere bedeuten. So viel war ihm klar. Gunda war nachtragend und intrigant. Sie würde in der Branche kein gutes Haar an ihm lassen. Sie würde überall verkünden, dass er keine Lust mehr habe, als Filmkomponist zu arbeiten, er würde also wieder mühsam Klinken putzen gehen müssen, um Gundas Gerede auszumerzen.
Fünf Minuten später rief sie erneut an. »Bist du völlig bekifft, oder was?«
»Schnauz mich nicht an!«
»Amadeus, nun mal ganz in Ruhe: Kommst du nach Deutschland, oder soll ich dich aus meiner Kartei streichen und ein für alle Mal vergessen?« Sie atmete hörbar genervt aus, wie eine Mutter, die langsam die Geduld mit ihrem Nachwuchs verliert.
»Ich komme«, knurrte er. »Aber ich kann dir nicht genau sagen, wann. Verflucht noch mal, nerv mich nicht und lass mich in Ruhe, aber ich komme.«
»Bald?«
»Demnächst.«
»Kann ich Termine machen?«
»Noch nicht.«
»Nächste Woche?«
Mann, war diese Frau zäh. »Nächste Woche oder übernächste. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
»Sehen wir uns?«
»Vielleicht.«
»Du hast jemanden kennengelernt?«
»Gunda, bitte. Ich habe gesagt, ich komme. Wenn ich da bin, rufe ich dich an. Okay?«
Gunda antwortete nicht, und er legte zum zweiten Mal auf.
Obwohl er außer einer überziehbaren Kreditkarte kein Geld mehr zur Verfügung hatte, lud er Elsa am Abend zum Essen ein. Es war ein kleines verschwiegenes Restaurant auf dem Land, einige Kilometer hinter Asciano, ein Geheimtipp. Er wollte mit ihr allein sein. Von niemandem gesehen werden, niemanden treffen und ihr keine Möglichkeit geben, aufzustehen und zu gehen. Das Restaurant war dekoriert wie ein Trödelladen, auf Regalen, Schränken, Borden und Mauervorsprüngen standen Figuren und Püppchen, Schiffchen, Autos, Tässchen, Kännchen und Porzellantierchen herum, in den Ecken uralte Nähmaschinen, Puppenwagen oder gusseiserne Öfen. Auf den Tischen lagen bestickte Spitzendecken, darauf Kerzen mit Blumenkränzen, Servietten mit
Engelsmotiven und Speisekarten mit verschnörkelter Schrift in ledernen Deckeln.
»Oh!«, sagte Elsa, als sie hineinkam, und war wie erschlagen von dem Pomp und Plüsch, dem Krimskrams und Krempel, dem Tand und
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