Hexenkind
er sich in diesem Zustand lange Sätze nicht mehr zu. Es zerriss ihr das Herz, sie wäre gern bei ihm gewesen und hätte ihm geholfen, aber sowie er spürte, dass ihre Stimme mitleidig klang, wurde er wütend. War das Telefonat beendet, war sie frustriert und ärgerte sich darüber, dass er sie in diesem Zustand überhaupt anrief. Es war so respektlos von ihm nicht zu warten, bis er wenigstens in der Lage war, sich mit ihr zu unterhalten. Erst sehr viel später kam ihr der Gedanke, dass er vielleicht nie nüchtern war. Jedenfalls nicht nüchtern genug, um vernünftig mit ihr zu sprechen.
Wenn sie ihn fragte, ob er schon einen neuen Filmvertrag an Land gezogen hätte, sagte er: »Wart’s ab. Es ist ein Scheißgeschäft, aber ich bin nahe dran.«
»Nahe dran« klang in ihren Ohren wie: »Ich brauche noch ein paar Wochen.«
Wenn sie ihm sagte: »Ich vermisse dich«, dann antwortete er: »Ich auch.« Mehr nicht.
»Es gibt Menschen, die können einfach nicht telefonieren«, sagte Anna, die nach der Olivenernte in die Wohnung zurückgekehrt war und dringend eine Auszeit von ihrem Freund brauchte, der ihr bei der täglichen Arbeit auf dem Feld erheblich auf die Nerven gegangen war. Er hatte ständig alles besser gewusst und sogar die alten Olivenbauern mit seinen Ratschlägen und seiner Kritik terrorisiert.
»Diese Typen kriegen einfach kein Wort raus, obwohl ihr Herz übersprudelt vor Liebe. Und dann wollen sie es beim nächsten Mal besser machen, aber es klappt wieder nicht. Die Ansprüche werden von Tag zu Tag höher, der Frust wird immer größer, und schließlich haben sie Angst, überhaupt noch Piep zu sagen. Vielleicht ist dein Amadeus ja einer von dieser Sorte. Und weil er dir nicht sagen kann, wie sehr er dich liebt, sitzt er zu Hause und säuft bis zur Bewusstlosigkeit. Damit in der Nacht das misslungene Telefonat nicht andauernd in seinem Kopf rotiert.«
Hoffentlich ist er so einer, dachte Elsa. Ich gerate irgendwie immer an Männer, die nicht telefonieren können. Antonio war genauso.
Und sie war ihrer Freundin dankbar für diesen kleinen Funken Hoffnung.
Am nächsten Morgen sah sie die Schachtel von Annas Tampons neben dem Toilettenpapier stehen, die sie dort nur hinstellte, wenn sie sie brauchte. Es gab Elsa einen Stich, weil sie seit drei Tagen verdrängte, dass sie ihre Regel nicht bekam.
Sie beobachtete sich rund um die Uhr und fühlte in sich hinein. Schickte Stoßgebete zum Himmel, machte Gymnastik, stieg Treppen rauf und runter, atmete in ihren Bauch und machte Entspannungsübungen. Ab und zu spürte sie ein leichtes Ziehen im Unterleib, wartete noch zehn Minuten, dankte ihrem Schöpfer und ging auf die Toilette – aber da war nichts. Kein noch so winziger Tropfen Blut.
»Verflucht noch mal, Anna, ich kriege meine Tage nicht«, meinte Elsa am siebten Tag nach Ausbleiben ihrer Regel. »Was soll ich bloß machen?«
»Ist es von deinem neuen Typen, diesem Amadeus?«
Elsa nickte unglücklich. »Anna, ich werde wahnsinnig.«
»Geh zum Arzt oder mache einen Test. Und dann überlegen wir weiter.«
Elsa ging zum Arzt. Sie traute den Schwangerschaftstests nicht über den Weg, hatte Angst, eine Kleinigkeit falsch zu machen und dann doch kein eindeutiges Ergebnis zu haben.
»Herzlichen Glückwunsch!«, sagte der Arzt. »Sie sind schwanger.«
»Ganz sicher?«
»Ganz sicher.«
Als Elsa zehn Minuten später wieder auf der Straße stand, fühlte sie sich eigentlich wie immer. Ihr Aussehen hatte sich nicht verändert, und ihr tat nichts weh. Es kann nicht sein, dachte sie sich, es ist alles Blödsinn, alles Hysterie. Wenn ich jetzt einfach weiterlebe wie bisher, wird nichts passieren. Auf alle Fälle werde ich nicht plötzlich ein Kind kriegen. Das ist völlig unmöglich.
»Na?« Anna riss die Wohnungstür auf, als sie Elsa kommen hörte. »Was ist?«
»Ich bin schwanger«, murmelte Elsa.
»Und?«
»Ich kann’s nicht glauben.«
»Das ist bescheuert. Wenn du schwanger bist, bist du schwanger. Basta. Und jetzt musst du einfach mal scharf nachdenken, was du machst. Meinst du denn, du siehst diesen Typen wieder?«
Elsa nickte. »Er hat es versprochen.«
Anna seufzte. »Männer versprechen viel, wenn der Tag lang ist.«
»Sei nicht so widerlich.« Anna hatte genau das ausgesprochen, was Elsa befürchtete, und darum wollte sie es nicht hören.
»Rede mit ihm. Erzähl es ihm. Und dann wirst du sehen, wie er reagiert.«
»Am Telefon?« Elsa sprang auf und lief nervös im Zimmer hin und her.
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