Hexenkind
stand einen Moment stumm vor ihr und nahm sie schließlich in den Arm.
»Mein Kühlschrank ist leer«, sagte er. »Gehen wir zu dir?«
Als sie an ihrer Arbeitsplatte stand und Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Oliven und Peperoni schnitt, erschien sie ihm noch schöner als am Tag zuvor. Dann füllte sie kleine Pfännchen mit Feta-Käse, gab frischen grünen Pfeffer und all die geschnittenen Zutaten dazu und schob die Pfannen in den Ofen.
Er saß an einem kleinen Tisch am Fenster, an dem wirklich nur zwei Personen Platz hatten, und beobachtete sie. Sie stellte Weißbrot auf den Tisch, dazu eine Karaffe Mineralwasser und eine Flasche Wein.
»Du hast gestern irgendwann erzählt, dass deine Mutter Deutsche ist und dein Vater Italiener?«
Elsa nickte nur.
»Wo leben deine Eltern? Hier? In Siena?«
Sie sah ihn an und zögerte. Überlegte einen Moment, bevor sie antwortete: »Nein. Mein Vater wohnt ungefähr dreißig Kilometer entfernt in einem kleinen Bergdorf, in Montefiera, und meine Mutter ist tot.«
»Oh«, sagte er nur.
»Es ist noch nicht lange her. Sie ist erst seit fünf Monaten tot.«
»War sie krank?«, fragte er vorsichtig.
»Ja. Sie war verrückt. Geisteskrank. Sie hat sich selbst zu Grunde gerichtet. Wir haben alle geahnt, dass es so kommt.«
»Was ist gekommen, ich meine, was ist passiert?«
»Sie ist im Meer ertrunken. Hat sich zu weit hinausgewagt, und ein Strudel hat sie in die Tiefe gezogen. Ihre Leiche wurde nie gefunden.«
»Vielleicht lebt sie noch?«
»Nein.« Elsa lächelte, was er eigentümlich fand. »Einige
Leute haben vom Ufer aus beobachtet, wie sie im Wasser versank. Sie ist einfach nicht wieder aufgetaucht.«
Elsa holte die überbackenen Pfännchen aus dem Ofen und entkorkte die Flasche Wein. »Buon appetito.«
Der überbackene Schafskäse schmeckte hervorragend, und er spürte, dass es ihm mit jedem Bissen besser ging.
»Es tut mir leid, dass ich vorhin dann doch nicht gekommen bin. Aber ich hatte eine Musik im Kopf, die musste ich unbedingt aufschreiben. Und ich hab einfach nicht mehr daran gedacht, noch einmal anzurufen.«
»Ich hab mir so was schon gedacht.« Jetzt grinste sie fröhlich, und er entspannte sich.
Während sie aßen erzählte er von seiner Arbeit als Filmkomponist. Von unentschlossenen Regisseuren, die immer alles anders wollten, aber nicht wussten wie … von Kompositionen, an denen er wochenlang arbeitete, um sie dann eine Nacht vor dem Studiotermin mit dem Orchester komplett umzuschreiben … von Bildern, die keinen einzigen Ton in seinem Kopf erzeugten … und wieder anderen, die nach ganzen Sinfonien schrien. Von Gunda, deren Wünsche er erfüllte und durch die er die meisten seiner Engagements bekam, erzählte er nichts. Auch nicht von seinem Drogenkonsum, ohne den seine Gefühle vollkommen tot waren, da sein ganzes Denken nur um die nächste Flasche Hochprozentiges, die nächste Tüte Hasch oder die nächste Prise Kokain kreiste.
Elsa hing an seinen Lippen und betete, dass er ihre Wohnung nie mehr verlassen würde. Als er sie bat, etwas von sich zu erzählen, sprach sie fast ausschließlich von Edi, denn sie wollte nicht von ihren Eltern, vor allem nicht von ihrer Mutter sprechen. Wollte sich nicht an sie erinnern.
Also erzählte sie von Edis Unfall, über den so oft geredet worden war, dass Elsa nicht mehr wusste, was sie gehört hatte und was ihre eigene Erinnerung war. Und erwähnte auch kurz seine plötzliche Erkrankung 1993, als Edi fünf und Elsa neun Jahre alt gewesen waren, die sie noch in allen Einzelheiten vor Augen hatte.
Edi hatte dichtes, dunkles, leicht gewelltes Haar, das ihm Teresa mit Leidenschaft bürstete, aber noch lieber wusch und fönte. Eines Morgens entdeckte sie beim Bürsten eine esslöffelgroße kahle Stelle am Hinterkopf. Erschrocken rief sie Sarah. Die helle Stelle schien zwischen den dunklen Haaren regelrecht zu leuchten. Sarah wandte sich entsetzt ab und befahl Edi, von nun an immer eine Mütze oder Kappe zu tragen. Egal was, Hauptsache, die peinliche Stelle war bedeckt. Sie fürchtete sich davor, Edi in den Arm zu nehmen, vermied es Geschirr zu berühren, von dem er gegessen hatte, und desinfizierte sofort die Toilette, die er benutzt hatte. Sie drehte sich abrupt um, wenn sie Edi auf sich zurennen sah, und ließ den kleinen Jungen, der sie umarmen wollte, ins Leere laufen.
»Stell dich nicht so an«, schimpfte Teresa. »Das kommt wahrscheinlich von dem Kaninchen. Oder von einem Vogel, der die Federn verliert. So
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