Hexenkind
seine Lungen drang und ihm den Atem nahm. In seinen wirren, letzten Träumen sah er nur die eine Frau, die er sein ganzes Leben lang geliebt hatte. Sarah.
Auf der Brücke lag sein Handy und klingelte ungefähr zwanzig Mal. Dann war alles still.
Es war der dreiundneunzigjährige Fabrizio, der Bruder des ehemaligen Pfarrers, der aus der Christmette kam und auf seinem Nachhauseweg den leblosen Körper in der Ambra entdeckte. Er schrie um Hilfe, obwohl es nichts mehr zu helfen gab.
Als man Franky nur Minuten später aus dem Wasser zog, war er schon anderthalb Stunden tot.
Toskana, Januar 2005 – neun Monate vor Sarahs Tod
68
Es war kalt in Pienza. Der Wind pfiff über den kleinen Domplatz, er schien sich hier regelrecht zu bündeln, und ein paar armselige vertrocknete Eichenblätter wirbelten über das Pflaster. Pienza wirkte auch jetzt am Nachmittag wie ausgestorben, da sich im Winter so gut wie keine Touristen hierher verirrten.
Elsa kam fünf Minuten nach der verabredeten Zeit. Sie näherte sich langsam dem Café, das dem Dom gegenüberlag, als zögere sie noch, hineinzugehen. Doch dann zog sie den Gürtel ihres Mantels enger und betrat entschlossen die Bar.
Sie sah sofort, dass er der Richtige sein musste. Die Beschreibung passte. Er hatte dunkle Augen, war glatt rasiert, und kleine dunkle Ringellöckchen umrahmten seinen Kopf wie eine Badekappe mit Afrolook. Auf Grund seiner Frisur wirkte er korpulenter, als er eigentlich war. Konzentriert rührte er in seinem Tee und sah auf, als sie auf ihn zukam.
»Buonasera, Stefano«, sagte Elsa und setzte sich zu ihm an den kleinen runden Tisch, auf dem eine zerlesene »Gazzetta dello Sport« lag.
»Hallo Elsa«, sagte er lächelnd, erhob sich halb von seinem Stuhl und reichte ihr die Hand.
Er war ihr auf Anhieb sympathisch.
»Danke, dass du gekommen bist. Hast du schon lange auf mich gewartet?«
»Fünf Minuten. Höchstens. Möchtest du was trinken?«
»Einen Caffè.«
Stefano stand auf, ging zum Tresen und bestellte. Er wartete nur Sekunden, dann brachte er ihn ihr an den Tisch.
»Danke.«
»Erzähl mir ein bisschen. Das was du willst. Keine Angst, es bleibt alles unter uns.«
Elsa sah sich um. Sie wollte sicher sein, dass niemand ihr Gespräch mitverfolgen konnte, aber es standen nur zwei Handwerker an der Bar, die sich lautstark unterhielten und von dem Mann und der Frau am Tisch keinerlei Notiz nahmen.
»Ich bin definitiv schwanger. Meine letzte Regel ist jetzt einundvierzig Tage her.«
»Das ist gut«, sagte Stefano. »Das ist noch im Rahmen. Nach dem neunundvierzigsten Tag geht es nicht mehr. Jedenfalls nicht medikamentös.«
»Ich will das Kind nicht. Ich kann es nicht wollen, und ich kann es nicht bekommen. Das ist eine äußerst komplizierte Geschichte, aber ich bin mir absolut sicher. Es gibt keine andere Möglichkeit.« Sie sprach klar und ruhig. Jegliche Nervosität oder Unsicherheit waren verflogen.
»Okay. Du hast familiäre Probleme?«
»Ja.«
»Du brauchst mir deine Gründe nicht zu sagen, aber du kannst es.«
»Es ist besser, wenn ich es nicht tue.«
Stefano nickte.
Elsa war ihm dankbar für seine Loyalität. Er war Apotheker in Grosseto, ein langjähriger Freund Annas, und hatte sich sofort bereit erklärt, zu helfen. Elsa hoffte, dass er sich jetzt nicht selbst in Schwierigkeiten brachte. Da er ein paar Tage bei einem Freund in Pienza war, hatten sie verabredet, sich hier zu treffen.
»Ich müsste nur ein paar Dinge von dir wissen: Rauchst du?«
Elsa schüttelte den Kopf.
»Hast du irgendwelche Herz- oder Kreislaufprobleme oder zu hohen Blutdruck?«
»Nein. Ist alles ok.«
»Wann hast du das letzte Mal eine Blutuntersuchung gemacht?«
»Vor zwei Jahren.«
»Und?«
»War alles in der Norm. Ich bin kerngesund, Stefano.«
Stefano lächelte. »Gut. Ich bin sicher, du wirst keine Probleme kriegen. Pass auf. Die Sache läuft jetzt folgendermaßen: Du nimmst so bald wie möglich, am besten morgen, je eher je besser, drei Mifegyne.«
»Alle auf einmal?«
»Ja. Alle auf einmal. Dann passiert erst mal gar nichts. Und dann nimmst du zwei Tage später zwei Tabletten Prostaglandine. Meist geht der Embryo nach drei bis vier Stunden ab, manchmal auch erst nach sechs. In einigen Fällen dauert dieser Prozess bis zu vierundzwanzig Stunden.«
»Alles klar.«
»Wenn du Probleme, unerträgliche Schmerzen oder unverhältnismäßig starke Blutungen kriegst, musst du sofort in die Klinik. Versprichst du mir das?«
»Das verspreche ich
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