Hexenkind
versuche er zu verstehen, was hier gerade geschah.
»Is schöner im Paradies?«, fragte er, und Elsa nickte. »Viel schöner.«
Edi schaufelte das Grab seines Kaninchens wieder zu, wälzte einen riesigen Stein über die Stelle, den Elsa keinen Zentimeter hätte bewegen können, und im Licht der Taschenlampe glänzte sein dickes Gesicht feucht.
Elsa nahm seine Hand, und sie machten sich auf den Rückweg nach Montefiera. Auch Edi hatte jetzt seine Taschenlampe ausgeschaltet. Er brauchte kein Licht. Elsa schien es fast, als bewege er sich in der Nacht sicherer als am Tag.
66
Die kleine Piazza war wie leergefegt, als Elsa mit Edi nach Montefiera zurückkehrte. Im Magazin zogen sie sich ihre Gummistiefel aus, gingen dann um die Trattoria herum und betraten von hinten den kleinen verglasten Portico, in dem Teresa die Pflanzen in Terrakottatöpfen aufbewahrte, die nicht winterfest waren. Zitronen, Mandarinen, Hibiskus, Oleander und junge Rosenstöcke. Daher sah der Portico im Winter aus wie ein Wintergarten, in den leider kein Stuhl und kein Tisch mehr passte. Die flache Keramiklampe brannte, was ungewöhnlich war. Sarah und Teresa schalteten sie immer sofort aus, wenn sie den Portico verließen.
Elsa blieb irritiert stehen und schnüffelte. Sie brauchte einen Moment, dann wusste sie, was in diesem Haus auf einmal so ungewöhnlich roch: Ein geringer Hauch von Rauch, als wäre jemand mit brennender Zigarette durch den Portico gegangen.
»Oh wie fein – nicht allein«, grunzte Edi. Er spürte es also auch. Wahrscheinlich war jemand aus dem Dorf vorbeigekommen und hatte eine kleine Aufmerksamkeit vorbeigebracht.
Elsa fühlte sich ganz leicht und frei. Sie freute sich sogar ein bisschen auf den Weihnachtsabend zu Hause. Im Moment
löste sich ja wirklich ein Knoten nach dem andern, und ihr Herz war nicht mehr vom Hass zerfressen. Alles wird gut. Da war sie ganz sicher.
Und dann stand er einfach da, als sie mit Edi das Wohnzimmer betrat. Mitten im Raum, groß, größer als alle anderen, aber irgendwie fehl am Platze. Er lächelte nicht, stand nur da und starrte sie an, als sei nicht er, sondern sie die Überraschung des Abends. Alle schwiegen. Sarah hielt sich an der Kaminumrandung fest, als fürchte sie umzufallen, Enzo und Teresa saßen eng nebeneinander auf der Couch, so eng, wie Elsa sie noch nie hatte sitzen sehen, Romano stützte sich mit beiden Fäusten auf den Tisch wie ein Gorilla, als fixiere er sein Publikum und wolle gleich eine eindringliche Rede halten. Und er dazwischen, mit dem Weihnachtsbaum im Rücken, irgendwie hilflos.
Elsa konnte sich gar nicht freuen, so gespenstisch war die Szene. Es lief ihr eiskalt über den Rücken.
»Amadeus«, flüsterte sie, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Hey, Amadeus, das ist ja ein Wahnsinn, dass du gekommen bist.«
Dann lief sie zu ihm, umarmte und küsste ihn. Er stand stocksteif und reagierte nicht, so wie sie ein paar Stunden zuvor nicht auf die Umarmung ihrer Mutter reagiert hatte.
In diesem Moment bekam sie Angst. »Was ist denn hier los?«, schrie sie und sah einen nach dem andern auffordernd an. »Was habt ihr denn alle? Das ist Amadeus, mein Freund.« Sie fasste ihm um die Hüfte und schmiegte sich an ihn.
»Ich kenne deinen Freund«, sagte Sarah leise. »Ich kenne ihn sogar sehr gut.«
Nicht schon wieder, stöhnte Elsa innerlich, bitte nicht schon wieder … Aber sie sagte nichts, sondern starrte ihre Mutter nur mit schreckensweiten Augen an.
»Du erinnerst dich nicht. Natürlich erinnerst du dich nicht.«
»Woran?«
»Elsa …« Sarahs Augenlider flackerten, und Elsa wurde ganz ruhig. »Elsa, das ist Franky. Dein Vater.«
Wie ein Fluch standen Sarahs Worte im Raum, in dem niemand mehr zu atmen schien, und klangen in den Köpfen nach wie ein sich immer wiederholendes Echo.
Jetzt ist alles aus, dachte Elsa noch, bevor um sie herum alles schwarz wurde.
67
Franky rannte aus dem Haus. Die gläserne Tür zum Portico schlug zu, und es gab ein lautes, schepperndes Geräusch. Aber im Haus blieb alles still. Niemand rief und niemand folgte ihm.
Er rannte durchs Dorf, am Castelletto und an dem leerstehenden Palazzo vorbei. Im gelben Haus vor der Kurve war Licht, und in irgendeinem Radio dudelte »Jingle bells«. Mit seiner Band »Switch« hatte er dieses Lied zig Mal gespielt, wenn sie bei Weihnachtsfeiern in Turnhallen oder Gemeindesälen auftraten. Aber Switch gab es nicht mehr, und auch Amadeus gab es nicht mehr.
Er ließ die Kirche, den
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