Hexenkind
dir.«
Elsa hatte verstanden und wollte jetzt nichts mehr hören. Sie wollte nur noch nach Hause, die Tabletten schlucken, sich ins Bett legen, die Decke über die Ohren ziehen und alles, was geschehen war, weit hinter sich lassen.
»Gut. Du weißt ja, wo du mich erreichen kannst. Oder rede mit Anna, wenn dir noch irgendwas unklar ist, sie hat diese Prozedur auch schon hinter sich.«
»Oh, das wusste ich gar nicht.«
Stefano schwieg, holte ein Briefchen mit den Tabletten aus seiner Jackentasche und gab sie Elsa.
»Danke.« Sie schob die Tabletten in ihre Handtasche und reichte ihm ihrerseits einen Umschlag mit fünfhundert Euro.
Damit war der Handel perfekt.
»Ich versteh das nicht«, sagte Elsa, »in fast allen europäischen Ländern, auch in den USA, ist die Abtreibungspille erlaubt, nur in Italien nicht. Und darum müssen wir hier solch einen Zirkus veranstalten.«
»Ich verstehe es auch nicht«, meinte Stefano und stand auf. »Aber ich denke, irgendwann, in den nächsten Jahren, wird sich vielleicht etwas bewegen.«
Sie umarmten und küssten sich auf die Wangen. Dann verließ Elsa die Bar.
Bis zu ihrem Auto rannte sie.
69
Elsa stand vor ihrem Badezimmerspiegel, in der einen Hand die Tabletten, in der anderen ein Glas Wasser, und versuchte, ihren eigenen Blick zu analysieren. Sie versuchte, in ihrem Gesicht zu sehen, ob sie sie wirklich schlucken wollte oder nicht. Ihre Entschlossenheit, die sie in Pienza noch ganz sicher gemacht hatte, war wie weggeblasen.
Sie legte die drei kostbaren Pillen auf den Rand des Waschbeckens. Wenn eine in den Ausguss fiel, war alles vorbei.
Dann ging sie ins Zimmer und legte Mozart auf. Amadeus, dachte sie, Papa, oder meinetwegen auch Franky, verdammt noch mal, ich vermisse dich so unendlich, und dieses Kind wäre die einzige wirkliche Erinnerung an dich.
Sie öffnete das Fenster. Die Luft war feucht und kalt, und sie fröstelte sofort. In einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite fegte eine Frau ihren Balkon. Was für ein Wahnsinn, dachte Elsa, was für ein absoluter Schwachsinn, bei diesem Wetter den Balkon zu fegen!
Die Frau bemerkte Elsa am Fenster und winkte ihr zu. Elsa winkte zurück. Dann schloss sie das Fenster, bevor die Frau einen Gruß oder eine Frage herüberrufen konnte.
Die Mozartklänge machten sie nur noch trauriger, als sie ohnehin schon war, und sie schaltete den CD-Player wieder ab.
Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, nicht nur ihr Kind, sondern auch gleich sich selbst umzubringen. Im Grunde machte es keinen Unterschied. Aber sie wusste nicht wie.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, nahm einen nagelneuen Schreibblock aus der Schreibtischschublade, den sie sich vor einigen Tagen gekauft hatte, und schraubte ihren Füllfederhalter auf.
»Verzeih mir, Amadeus«, schrieb sie, »aber es geht nicht. Ich kann es nicht bekommen.«
Der Satz hatte etwas Endgültiges, weil er auf dem weißen Blatt geschrieben stand. Er strahlte eine gewisse Autorität aus.
Über ihrem Schreibtisch hing ein Bild von Edi. Wie er ein Eis hochhielt und mit seinen prallen Pausbacken in die Sonne lachte. Die Eistüte hielt er in der Faust, so wie man einen Blumenstrauß hält. Wenn man Edis Augen sah, jagte einem das Gesicht mit seiner Naivität und seinem hintergründigen Irrsinn eine Gänsehaut über den Rücken.
Nein, dachte sie, nein, es geht wirklich nicht. Nicht noch einmal. Nicht so wie Edi.
Und dann schrieb sie auch diese Sätze.
Sie ging zurück ins Bad. Und als sie sich jetzt im Spiegel ansah, wusste sie, dass sie sich auf keinen Fall umbringen durfte.
Das Hinunterschlucken der drei Tabletten dauerte siebenundzwanzig Sekunden.
Anschließend schüttete sie noch ein Glas Leitungswasser hinterher. Im Schlafzimmer zog sie ihre Jeans und ihren
Pullover aus, kroch ins Bett und zog sich die Decke über die Ohren. Sie wollte so viel Zeit wie möglich verschlafen, bis sie die Prostaglandine nehmen und allem ein Ende bereiten konnte.
Elsa schlief vierzehn Stunden. Bis zum nächsten Morgen um sechs. Dann stand sie auf und duschte ausgiebig, horchte in sich hinein, spürte aber nichts. Gar nichts. Eigentlich fühlte sie sich sogar regelrecht wohl. In der Küche kochte sie sich einen Tee, schnitt einen Apfel in kleine Stücke und aß ihn in Milch. Ich bin ja schon fast so wie Edi, dachte sie. Das ist auch eine Art ›gesunde Suppe‹.
Anna kam kurz vor zwölf. Sie hatte bei ihrem Freund übernachtet.
»Alles klar?«, fragte sie und nahm Elsa in den
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