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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Kaninchen war tot, aber Edi begriff es nicht. Er verstand nicht, dass es nur bewegungslos dalag, sich nicht mehr bewegte, nicht davonhoppelte und die Augen nicht mehr aufmachte. Er schüttelte es, drückte ihm auf den Bauch und brüllte ihm »Hallo, Tiger, aufwachen!« ins Ohr.
    »Dein Kaninchen ist tot und auf dem Weg ins Kaninchenparadies«, meinte Elsa zärtlich und klopfte rhythmisch auf Edis Glatze, was er sehr gern hatte. »Das Kaninchenparadies
ist ein riesiger Garten mit Salat und Möhren, mit anderen Kaninchen, die alle miteinander spielen, und mit kleinen Kaninchenbetten zum Schlafen.«
    »Aber ohne Edi«, brummte Edi dumpf.
    »Wenn Edi eines Tages ins Ediparadies kommt, wird das Kaninchen da sein. Es wartet jetzt in seinem Kaninchenparadies auf Edi.«
    »Hier ist es!«, brüllte Edi und hielt das schlaffe Tier in die Luft. »Nur hier!« Dann schob er es zurück unter seinen Pullover, so wie er es mit dem lebenden Tier gewohnt war.
    »Du musst es begraben«, erklärte Elsa unbeirrt. »Dann weiß es, dass es ins Paradies darf. Und dann schlüpft aus dem alten, schmutzigen Fell ein neues, sauberes, gesundes Kaninchen und verschwindet im Paradies. Und die alte Hülle verrottet im Grab.«
    Das leuchtete Edi ein. Er zog das Kaninchen unter seinem Pullover hervor, nahm es wie ein Baby in den Arm und machte zu Elsa eine auffordernde Handbewegung. »Komm, begraben!«
    Elsa und Edi zogen sich im Magazin Gummistiefel und dicke Jacken an, nahmen einen Spaten und Taschenlampen mit, sagten Romano Bescheid, dass sie das Kaninchen im Wald begraben wollten, und zogen los.
    Sarah hielt es zwar für den nackten Wahnsinn, am Weihnachtsabend bei Dunkelheit loszuziehen, um im Wald ein Kaninchen zu vergraben, sagte aber nichts. Sie wusste, dass Edi sonst niemals Ruhe finden und den ganzen Abend nur heulen, schreien oder fürchterliche Dinge anstellen würde.
    So bereitete sie zusammen mit Teresa das Abendessen zu und hoffte, dass Elsa und Edi nicht allzu lange draußen bleiben würden.

     
    Elsa wollte das Kaninchen gleich im Olivenfeld hinter Montefiera begraben, aber Edi war strikt dagegen. Im Olivenfeld war viel zu viel Betrieb, da wurde zu häufig gearbeitet. »Lauter Leute – blöde Meute«, sagte er. Er befürchtete, das Kaninchen könne bei seiner Auferstehung und dem Weg ins Paradies gesehen werden. »Viele gehen – viele sehen«, brabbelte er ununterbrochen und stapfte immer höher hinauf und immer tiefer in den Wald. Ab und zu kürzte er ab und ging querfeldein, trampelte Brombeerbüsche nieder, die ihm im Weg standen, brach zigarrendicke Zweige von meterhohen Erikastrünken und riss wilde Rosen, winzige Pinien und Ginster büschelweise aus, um durch das Dickicht zu kommen. Edi wog fast drei Zentner und überragte Romano um einen ganzen Kopf. Er war ein haarloser Bulle.
    Elsa hatte Mühe, ihm zu folgen, und schlug ihm mehrere Begräbnisorte vor, aber er lehnte jedes Mal ab.
    Nach einer halben Stunde Fußmarsch bog Edi links ab. Sie werden uns vermissen, dachte Elsa besorgt, und wenn unsere Taschenlampen den Geist aufgeben, haben wir wirklich ein Problem.
    Mittlerweile verfluchte Elsa ihre eigene Idee, das Kaninchen im Wald zu begraben. Ihr war kalt und unheimlich zumute. Wenn sie den Atem anhielt, hörte sie in der Ferne die Wildschweine grunzen.
    Sie erreichten eine kleine Lichtung, die vom Halbmond notdürftig beleuchtet war. Auf der Lichtung standen die Überreste einer winzigen Capanna, die Elsa noch nie gesehen hatte. »Bist du hier ab und zu?«, flüsterte sie, als könnte sie mitten im Wald jemand hören. »Jaja – wunderbar«, raunte Edi. Elsa schaltete ihre Taschenlampe aus, obwohl ihr gar nicht wohl dabei war.

    »Wenn du dich hier auskennst, dann zeig mir die Stelle, wo wir Tiger begraben können.«
    An der hinteren Front der Ruine wuchs ein Busch, der halb so groß war wie sie selbst. Als sie ihn berührte, spürte sie, dass es Ginster war. »Da – alles klar«, befahl Edi und zeigte auf den Busch.
    Elsa nickte ergeben und drückte Edi den Spaten in die Hand. »Gib mir Tiger und grabe ein Loch.« Obwohl sie sich ekelte, nahm sie das tote Tier auf den Arm.
    Edi grub. Schnell und kraftvoll. Wer weiß, was er schon alles verbuddelt hat, schoss es Elsa durch den Kopf, und sie erinnerte sich an ihren Schlüsselbund, den Edi auch vergraben hatte.
    Dann legten sie Tiger in die Kuhle. Edi faltete die Hände. »Alles Gute im Paradies, Tiger«, meinte Elsa, und Edi schlug sich immer wieder gegen die Stirn, als

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