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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Arm.
    Elsa zuckte nur die Achseln und sah unglücklich aus.
    »Hast du die Tabletten genommen?«
    Elsa nickte.
    »Und nun überlegst du, ob es richtig war?«
    Elsa nickte erneut.
    »Pass auf.« Anna ging zum Kühlschrank, goss sich ein Glas Milch ein und trank es in gierigen Zügen aus. »Als du gemerkt hast, dass du deine Tage nicht bekommst, hast du sie dir doch sehnlichst gewünscht. Oder?«
    »Ja, klar.«
    »Va bene. Und so musst du an die Sache rangehen. Du hast jetzt Medikamente bekommen, die das Wunder vollbringen können, dass du deine Tage wiederkriegst. Das ist alles. Ein Zaubermittel. Und die Bauchschmerzen, die noch kommen, sind das Schönste, was es gibt. Die nimmt man doch gern in Kauf. Du bist einfach absolut happy, weil bald alles wieder so ist wie früher. Das Leben geht weiter, und du
kannst wieder Pläne machen. Fantastico. Du musst dir sagen: Danke, lieber Gott, ich habe eine zweite Chance.«
    Elsa lächelte. »Hört sich gut an.«
    »Du darfst nicht eine einzige Minute daran denken, was wirklich los ist. Dass du diesen verdammten Schwangerschaftstest gemacht hast. Das musst du komplett verdrängen, sonst gehst du kaputt.«
    Doch Elsa konnte es nicht ändern. Sie dachte daran. Jede Minute.
    Am nächsten Nachmittag schluckte sie die Prostaglandine und setzte sich vor den Fernseher. Nach dem »Telegiornale« um zwanzig Uhr, das eine halbe Stunde dauerte, wollte sie eigentlich »Chi l’ha visto« sehen, eine Sendung, die von mysteriösen Verbrechen, verschwundenen Kindern oder vermissten Personen berichtete und um die Mithilfe der Bevölkerung bat, aber zu diesem Zeitpunkt setzten derartig starke Bauchschmerzen verbunden mit Blutungen ein, dass sie nicht mehr in der Lage war, der Sendung zu folgen. Sie rief nach Anna, die in ihrem Zimmer saß und las.
    »Na endlich«, meinte Anna lächelnd, »jetzt hast du es ja bald geschafft. Die Schmerzen sind normal. Mach dir mal keine Sorgen.«
    Oh, mein Gott, es stirbt, und ich kann ihm nicht helfen! Elsa war zu keinem anderen Gedanken fähig und verfluchte diese ganze beschissene Welt, die sie in dieser Situation allein ließ.
    Anna kochte Elsa Frauenmanteltee, legte ihr eine Wärmflasche auf den Bauch und massierte ihr den Rücken. Um Mitternacht wurden die Krämpfe schwächer, und Elsa schlief erschöpft ein.

    Gegen Morgen fühlte sie sich wesentlich besser. Anna schlief noch. Elsa wollte sie nicht stören und kochte sich so leise wie möglich einen starken Kaffee. Ganz vage erinnerte sie sich, dass sie von Edi geträumt hatte, aber sie wusste nicht mehr was.
    Edi. Der arme Teufel, der in seiner eigenen verschrobenen Welt lebte, den ganzen Tag sein Kaninchen knetete, hin und wieder auch zerdrückte, und der Blumen am liebsten die Köpfe abriss.
    Ein Kind der Liebe. Das war einfach zum Totlachen. Edi, das Sonnenscheinchen, das die trübe Brühe des Teiches, Schlamm und Entengrütze eingeatmet hatte und schwachsinnig geworden war. Ihre Mutter hatte Edi immer mehr geliebt, mehr als sie, aber sie hatte auf ihr Herzchen eben nicht gut genug aufgepasst. Ihre Mutter war schuld. Schuld an Edis Behinderung und Romanos Unglück.
    Und sie hatte ihr Antonio weggenommen. Hatte sich dazwischengedrängt und ihr den Geliebten abspenstig gemacht. Aus Bosheit, Gier und Geilheit.
    Ihre Mutter war eine Hure. Eine dreckige Nutte. Ohne Anstand, ohne Moral und ohne Gewissen. Und das Schlimmste: Sie hatte ihr ihren Vater verschwiegen. Keine Geschichte, keine Anekdote, kein Bild erinnerte an ihn. Amadeus musste sterben und jetzt auch noch ihr ungeborenes Kind. Sarah war schuld. An allem.
    Sie hatte das Unglück dieser Familie heraufbeschworen, jetzt musste sie dafür bezahlen. Da gab es keinen Funken Liebe mehr, noch nicht mal mehr Mitleid für ihre Mutter.
    Elsa hatte plötzlich einen bitteren, ekelerregenden Geschmack auf der Zunge. Sie stand auf, holte sich eine Flasche
Wasser und begann langsam Schluck für Schluck zu trinken.
    Als sie die Wasserflasche ausgetrunken hatte, wusste sie, was sie tun würde.
    Und ihre Wut und ihr Hass erfüllten sie mit Kraft.

70
    Zehn Tage später fuhr Elsa nach Montefiera. Seit Weihnachten war sie nicht mehr dort gewesen.
    Unmittelbar nach Frankys Tod war sein Bruder aus Neuseeland gekommen, hatte Frankys Leiche nach Deutschland überführt und in Berlin beisetzen lassen. Außer ihm folgten dem Sarg nur noch Tim und Gunda, die dafür gesorgt hatte, dass in der Kapelle Mozarts ›Kleiner Trauermarsch in c‹ gespielt wurde. Als wenig später der

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