Hexenkind
Sarg in die Erde versenkt wurde, war Franky, alias Amadeus, von der Welt verschwunden.
Elsa lief als Erstes in die Küche und umarmte Romano und Teresa, die das Abendessen für die Trattoria vorbereiteten. Es tat ihr gut zu sehen, wie sehr sich Romano über ihr unerwartetes Kommen freute.
»Wie geht es Enzo?«, fragte sie.
»Gut. Bis auf sein Rheuma eigentlich sehr gut.«
»Das freut mich. Ist er da?«
»Nein.« Teresa grinste. »Er sitzt in Ambra auf der Piazza und hält ein Schwätzchen mit den anderen alten Zauseln.« Sie lachte.
»Was gibt es Neues in Siena?«
»Nichts eigentlich. Ich wollte nur mal nach Edi sehen.«
»Er ist draußen in seinem Verschlag.«
Als Elsa aus der Tür trat, lief sie direkt ihrer Mutter in die Arme, die gerade ins Haus gehen wollte. Sarah errötete vor Freude. »Elsa!« Sie öffnete – etwas zögerlich – die Arme, in der Hoffnung, Elsa umarmen zu können, aber Elsa ging einfach an ihr vorbei. Beachtete sie gar nicht und zeigte ihr die kalte Schulter.
Sarah ließ die Arme sinken, sah ihrer Tochter noch einen Moment hinterher, erst dann ging sie schweigend ins Haus.
Edi strahlte, als er Elsa auf sich zukommen sah. »Trallala und hopsassa«, schrie er und warf sein Kaninchen in die Luft.
»Hei, Edi. Wie geht’s?«
»Tutti paletti«, sagte Edi.
»Ich wollte dich besuchen. Hab ein bisschen Zeit für dich. Wie findest du das?«
»Wunderschön – gern geschehn«, meinte er grinsend.
»Komm Edi, lass uns ins Zimmer gehen. Hier ist es mir zu kalt.«
Edi nickte und stand bereitwillig auf. »Bist du alt – ist dir kalt«, murmelte er und machte ein allwissendes Gesicht.
»Wo hast du denn den Spruch her? Von Mama?«
Edi schüttelte den Kopf.
»Von Oma?«
Edi nickte und trottete brav hinter seiner Schwester her.
Elsa setzte sich zu Edi aufs Bett, stopfte ihm einen Karamellbonbon in den Mund, nahm ihn in den Arm und kraulte seine Glatze. Er schmiegte sich an sie und schnurrte leise.
»Du bist doch mein tesoro, mein Schätzchen«, flüsterte sie. »Du hast deine Kaninchen – ich hab dich. Leider kann ich dich nicht unter den Pullover stecken.«
Edi gluckste vor Lachen.
»Jetzt bist du nicht mehr mein kleiner Bruder, sondern mein ganz großer Bruder. Stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Du bist klug, und du bist viel größer als ich.«
»Stimmt.«
»Und du hast viel mehr Kraft als ich.«
»Stimmt. Edi Kraft – alles schafft.« Er war ungemein stolz über all das, was Elsa sagte.
»Ich hab eine Aufgabe für dich, Edi«, meinte Elsa.
Edi sah sie wenig begeistert an. »Regenwurm?«, fragte er.
»Nein.« Es war bestimmt schon zwei Jahre her, dass Edi auf ihre Anweisung hin den letzten Regenwurm verspeist hatte. Mit diesen Dingen wollte sie sich nun nicht mehr aufhalten. »Eine viel größere Aufgabe. Viel schwieriger. Aber ganz, ganz, ganz toll.«
»Au ja!« Edi bewegte sich rhythmisch auf und ab, und das Bett ächzte und krachte bedrohlich.
»Eine Aufgabe, die nur Edi lösen kann. Elsa nicht. Weil Edi viel größer und stärker ist als Elsa. Aber genauso klug.«
Edi nickte bedächtig. Der Meinung war er auch.
»Aber dazu muss Edi viel lernen und viel üben. Willst du das?«
»Tutti paletti.«
»Na prima. Ich komme jetzt jede Woche ein-, zweimal zu dir, und dann reden wir und spielen und üben, bis Edi alles weiß. Ja?«
»Tutti paletti.«
»Gut. Wollen wir heute schon anfangen oder erst das nächste Mal?«
»Anfangen!«, quietschte Edi und klatschte begeistert. Dabei hielt er seine dicken Hände ganz gerade und aufrecht, als wolle er beten, versteifte seine Finger und schlug die knochenharten Handflächen ineinander.
»Gut, Edi. Erinnerst du dich noch an Weihnachten, als dein Kaninchen gestorben ist?«
»Kann nich schaden – is vergraben«, meinte Edi und sah überhaupt nicht traurig aus.
»Genau. Du hast dein Kaninchen beerdigt, damit es ins Kaninchenparadies kommen kann. Wie ist es denn im Kaninchenparadies?«
»Schön.«
»Schöner als auf der Erde?«
»Viel schöner.«
»Und ist das Kaninchen jetzt glücklich?«
»Ja, ja, ja«, jauchzte Edi, »ganz, ganz doll.«
»Richtig. Genau. Das hast du dir ja prima gemerkt. Kann man eigentlich auch ins Kaninchenparadies kommen, wenn man sich einfach nur von Edi einbuddeln lässt?«
Edi schüttelte den Kopf. So heftig, als versuche er, einen Käfer abzuschütteln, der auf seiner Glatze spazieren ging.
»Warum nicht, Edi?«
»Muss tot sein. Tot wie Brot. Dann Paradies.«
»Genau. Mein Gott, was habe
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