Hexenkind
der er bei mir ist.«
»Wie lange wollt ihr noch Urlaub machen?«
Katrin zuckte die Achseln. »Vier Wochen? Sechs Wochen? Bis unser Geld alle ist oder das Semester wieder anfängt. Ist das nicht ein Traum? Eine endlose, himmlische Zeit. Wir wollen auch noch auf die Inseln, oder vielleicht juckt es uns, und wir fahren noch rüber nach Schweden. Und da bauen wir uns dann eine Blockhütte und kommen nie wieder …« Sie lachte laut, sodass Franky überrascht aufsah.
Katrin umarmte Sarah und küsste sie auf die Wange. »Nein, das könnte ich nicht. Da wäre ich viel zu weit weg von dir.«
Sarah erwiderte die Umarmung, und während sie ihre Freundin an sich drückte, beobachtete sie Franky, der völlig in sein Gitarrenspiel versunken war, und ihr kam der
Gedanke, dass es wahrscheinlich das Beste wäre, noch an diesem Abend wieder abzureisen.
Die Spaghetti mit der würzig-scharfen Knoblauch-Tomaten-Soße waren ein Gedicht. Katrin verschlang drei vollgehäufte Teller und bekam immer bessere Laune. Franky stocherte dagegen lustlos in seinen Spaghetti herum und schaffte noch nicht mal eine halbe Portion.
Nach dem Essen wuschen Sarah und Katrin das Geschirr ab. Danach machten sie einen Spaziergang zum Meer, während Franky vor dem Zelt auf einer Luftmatratze döste.
Vom Campingplatz führte ein ungefähr einen Kilometer langer Fußweg durch die Felder und Wiesen direkt bis zum Strand. Als sie das Meer erreichten, versank die Sonne gerade im Meer und schickte ihre allerletzten orangefarbenen Strahlen übers Wasser.
»Stark, sieht irre aus«, meinte Katrin, riss sich aus einem Impuls heraus ihre Sachen vom Leib und stürzte sich splitterfasernackt ins Meer. Laut schnaufend kraulte sie zwanzig Meter hinaus, schwamm zurück, kam aus dem siebzehn Grad kalten Wasser, rubbelte sich mit ihrem T-Shirt trocken und zog sich wieder an.
»Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, richtig lebendig zu sein«, sagte sie strahlend und außer Atem. »Kannst du dir so was vorstellen, Schatz? Immerhin werde ich zwanzig!«
Ich wünsche ihr alles Glück dieser Erde mit ihrem Franky, dachte Sarah und beschloss, am nächsten Morgen in aller Frühe wieder nach Berlin zu fahren.
Als Sarah und Katrin zum Zelt zurückkehrten, saß Franky unter der Eiche und rauchte einen Joint. Er lächelte, aber seine Augen hatte er nicht mehr unter Kontrolle. Die
Augäpfel verschwanden immer wieder kreisend unter dem Oberlid.
Sarah und Katrin zündeten eine Fackel an, tranken Rotwein und redeten leise. Um halb zwölf nahmen sie Wasser aus dem Zwanzig-Liter-Kanister, der hinter dem Auto stand, putzten sich die Zähne, pinkelten im hohen Maisfeld und richteten das Zelt für die Nacht her. Franky sah ihnen schweigend zu und warf den Kopf in den Nacken, um den Rauch gen Himmel zu blasen.
Als sie zum Schlafen ins Zelt krochen, blieb Franky unter der Eiche sitzen und rauchte schweigend.
Gegen drei erwachte Sarah. Katrin schlief tief und fest und pfiff leise durch die Vorderzähne. Der Platz neben ihr war immer noch leer. Sarah krabbelte aus dem Zelt, um zu sehen, wo Franky war.
Er lehnte am Baum und hatte die Augen geschlossen. Sarah fröstelte. Sie holte ihre Decke aus dem Zelt, wickelte sie um sich und setzte sich neben ihn. Er schlief nicht, sondern sah sie an.
»Was ist denn los?«, fragte sie. »Willst du die ganze Nacht hier draußen sitzen bleiben?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
»Bist du nicht müde?«
»Noch nicht.« Er hielt ihr eine halbvolle Bierflasche hin. »Magst du’n Schluck?«
Sarah nickte und trank. Als sie ihm die Flasche wiedergab, umfasste er ihre Hand.
»Komm, lass uns ans Meer gehen.«
Sarah war wie elektrisiert, und ihr Herz klopfte wie wild. Mit der Decke um die Schultern folgte sie Franky den stockdunklen Weg hinunter.
Noch Jahre später überlegte Sarah, wer in dieser Nacht eigentlich den Anfang gemacht hatte. War es die Hand, die sie ihm auf die Schulter legte, als ihre Sandale im Sand stecken blieb, war es der Blick, mit dem sie ihn ansah, als er am Ufer stand, oder die Entschlossenheit, mit der er sie an sich zog und in den Arm nahm. Auf jeden Fall erwiderte sie seinen Kuss leidenschaftlich, bis sie sich endlich in den Sand fallen ließen. »Ich wusste es«, stöhnte Sarah, »weil du mich schon den ganzen Tag nicht ansehen konntest.«
Einige Minuten später wachte Katrin auf, weil ihr linker Knöchel juckte. Als sie versuchte, sich vorsichtig umzudrehen, um niemanden zu stören, merkte sie, dass
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