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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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herum, und die Aschenbecher, die überall im Zimmer verteilt waren, quollen über.
    »Lass mich«, sagte er dann, wenn sie ihn darauf ansprach. »Ich brauche das ab und zu für meine Inspiration. Du glaubst nicht, was für Melodien entstehen, wenn ich ein oder zwei Joints geraucht habe. Sie sind genial. Davon bin ich überzeugt. Sie klingen ganz von selbst in meinem Kopf, und ich brauche sie nur noch aufzuschreiben. Da gibt es kein Rechnen, kein Kombinieren, da muss ich nicht nach Harmonien suchen – sie stimmen einfach. Das ist ein Geschenk, Sarah, also lass mich. Ich tue ja keinem damit weh.«
    Sarah ließ ihn in Ruhe. Sie sagte nichts mehr, aber die Nächte, in denen er nicht ins Bett kam und sie ihn am nächsten Morgen irgendwo in der Wohnung fand, wurden häufiger.
     
    An einem Freitagabend kam sie nach einem Büchner-Seminar um achtzehn Uhr aus der Uni. Die ohrenbetäubende Musik hörte sie schon im Treppenhaus. Als sie die Tür aufschloss, schlug ihr intensiver Marihuanageruch entgegen. Neben dem Flügel tanzte Franky wie ein Verrückter. Er riss die Arme hoch, warf den Kopf in den Nacken und kreiste die Hüften.
    »Spinnst du?«, brüllte Sarah. »Hör auf mit dem Scheiß!«
    Mit wenigen Handbewegungen wischte Franky sämtliche Bücher vom Regal.

    »Bist du völlig verrückt geworden!«, brüllte sie noch lauter, aber Franky tobte weiter.
    Sarah verschwand in ihrem Zimmer und verschloss die Tür.
    Mitten in der Nacht stand sie auf und setzte sich in die Küche. Sie trank ein Glas Milch und knabberte an einem Stück Parmesankäse. Tolle Kombination, dachte sie, einfach großartig, und fand ihre ganze Situation zum Kotzen. Sie wartete auf einen Einfall, wie sie ihr Leben ändern könnte, aber statt des Einfalls kam Franky in die Küche, nahm sich ein Bier und setzte sich zu ihr.
    Er schwieg. Beobachtete sie stumm. Nach endlos langer Zeit sagte er: »Spuck’s aus.«
    »Scheiße, Franky, ich bin schwanger«, murmelte sie und pickte die Parmesankrümel mit dem Zeigefinger von der Tischplatte.
    »Hey!«, brüllte er, »das ist ja phantastisch! Absolut geil!« Er riss sie vom Stuhl und tanzte mit ihr durch die Küche, bis ihr schwindlig wurde und sie sich wieder auf den Stuhl fallen ließ.
    »Seit wann weißt du es?«
    »Seit gestern.«
    »Ich fass es nicht.« Er nahm eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, küsste sie auf den Mund und ließ den Korken knallen.
     
    Am nächsten Morgen hatte er den Tisch nicht nur wundervoll, sondern regelrecht festlich gedeckt, hatte Blumen besorgt und eine kleine Schachtel mit Ohrringen auf ihren Teller gelegt, die er ihr eigentlich erst zu Weihnachten schenken wollte. Er fand sie einfach umwerfend, als sie zerzaust
und in seinem Schlafanzug barfuß an den Tisch kam. Ihre Augen strahlten, als sie die Überraschung sah.
    Sie war so dankbar in diesem Moment, wiegte sich in völliger Sicherheit. Franky zog sie auf seinen Schoß. »Ich liebe dich«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Und ich schwöre bei Gott, dass ich dich nie wieder gehen lasse. Ich werde bei dir und für dich da sein bis ans Ende meiner Tage.«

9
    Von diesem Tag an hörte Franky schlagartig auf zu komponieren und kümmerte sich intensiv um einen Job. Jede Arbeit, die auch nur annähernd mit Musik zu tun hatte, war ihm recht. Jetzt hatte er eine Familie zu ernähren und war nicht mehr wählerisch. Kurz darauf bekam er das Angebot, in einem kleinen französischen Lokal Akkordeon zu spielen. Nicht auf der Bühne, sondern als Untermalung für die speisenden Gäste. Sechsmal in der Woche von zwanzig bis ein Uhr. Franky akzeptierte.
    Sarah verbrachte von nun an die Abende allein zu Haus. Sie las viel, aber sie studierte nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, alle Kraft sammle sich in ihrem Bauch und verursache in ihrem Kopf ein Vakuum. Sie konnte sich nichts mehr merken, war vollkommen desinteressiert und wurde depressiv.
    Theoretisch hätte Franky nach der Arbeit im »Chapeau claque« um halb zwei zu Hause sein können, aber er kam keine Nacht vor vier. In manchen Nächten sogar erst um fünf oder sechs.
    Sarah lag auf der Couch und las. Das Telefon klingelte. Sie sah auf die Uhr. Zehn nach elf, das konnte nur ihre Mutter sein, sie rief oft um diese Zeit an.
    »Guten Abend, Kind«, sagte Regine. »Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?«

    »Nein, nein. Ich hab gelesen.«
    »Das freut mich.«
    »Alles in Ordnung bei euch?«
    »Ja. Und bei euch?«
    »Bei uns auch.«
    »Na prima.«
    »Wie geht es Franky?« Auf diese Frage

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