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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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im Krankenhaus, aber er hatte sich noch einen weiteren Tag krankgemeldet.

    Sie trug ein schmal geschnittenes geblümtes Kleid in Pastelltönen, die Haare fielen ihr offen und locker bis zur Taille, und sie war vollkommen ungeschminkt. Rico hatte Lust, sie ohne ein weiteres Wort auf den Boden zu werfen.
    »Wie geht es dir?«, fragte sie lächelnd. »Es war ein wundervolles Fest auf Monte Calma, fandest du nicht auch? Ich hoffe, du hast eine ähnlich schöne Erinnerung daran wie ich.«
    »Sarah«, sagte er. Nur ihren Namen. Nur dieses eine Wort, zu mehr war er nicht fähig.
    Er wollte diese eigentümliche Situation unbedingt ausnutzen und sie nicht tatenlos verstreichen lassen, aber er wusste nicht wie.
    »Ich habe nur an dich gedacht. Tag und Nacht. Ich bin auch nicht zur Arbeit gegangen«, flüsterte er. Das war schon mal ein Anfang, jetzt fühlte er sich wohler und entspannte sich ein kleines bisschen, denn jetzt wusste sie zumindest, wie es um ihn stand.
    Sie lächelte amüsiert, lehnte sich gegen die Kirchenmauer und spielte mit ihren Haaren, indem sie die langen Strähnen immer wieder um ihren Zeigefinger wickelte.
    »Das habe ich mir gedacht. Hör zu, Rico, ich muss mit dir reden. Hast du mit irgendjemand über uns gesprochen?«
    Rico schüttelte den Kopf wie ein kleiner Junge, den man fragt, ob er genascht hat.
    »Auch nicht mit deiner Mutter?«
    »Nein. Kein Wort. Das würde ich auch nie tun.«
    »Das ist gut. Es darf nämlich niemand wissen, hörst du? Niemand.«

    Rico nickte erneut und versuchte sehr ernst und vertrauenswürdig auszusehen. »Ich bin doch nicht verrückt. Ich – ich setze doch nicht alles aufs Spiel.« Jetzt ging er langsam auf sie zu, blieb unmittelbar vor ihr stehen und umfasste vorsichtig ihre Schultern. Sie entwand sich der Berührung und lehnte sich ein paar Meter weiter ihm gegenüber an die Mauer.
    »Rico«, begann sie, »es ist komplizierter als du denkst. Du bist ein lieber Junge, irgendwie niedlich auf deine Art, aber es geht nicht. Wir können uns nicht wieder treffen, es wird sich nicht wiederholen.«
    »Warum?«, stammelte er, »warum, warum, warum? Ich schwöre bei der Heiligen Mutter Gottes, dass ich niemandem etwas sage. Es wird nie jemand erfahren. Nie!«
    »Nein«, wiederholte sie. »Das mag zwar so sein, aber es ist unmöglich.«
    Für Rico brach in diesem Moment eine Welt zusammen. In seinem ganzen Leben würde er nie wieder eine Frau kennenlernen, die so war wie Sarah. Jede würde er mit ihr vergleichen, und keine würde ihr das Wasser reichen können. Er war zum Alleinsein verdammt, nur weil er diese kurze Zeit im Wald auf Monte Calma mit ihr erlebt hatte. Sie spielte mit ihm, sie nahm seine Gefühle nicht ernst, sie glaubte ihm seine Versprechungen nicht, denn sonst gab es keinen Grund, warum sie sich nicht wiedersehen sollten. Jetzt zum Beispiel. Jetzt war so eine Gelegenheit. Niemand wusste, dass sie in der Kirche waren. Die Zeit war viel zu kostbar zum Reden.
    »Es tut mir leid, Rico«, sagte sie.
    In ihm stieg die Wut hoch und kochte augenblicklich über.

    Sarah stand nichtsahnend neben einem zerbrochenen Kirchenfenster, begann sich bereits zu langweilen und überlegte, wie sie diese unerquickliche Diskussion mit freundlichen, aber eindeutigen Worten zu Ende bringen könnte, als er blitzschnell – diese Beweglichkeit hatte sie ihm gar nicht zugetraut – mit wenigen Schritten auf sie zusprang, sie gegen die unebene Natursteinmauer drückte, sie küsste und dabei mit der linken Hand unter ihren Rock fuhr. Seine Hand war nicht suchend oder tastend, sondern fordernd und brutal. Kantige Steine bohrten sich in ihren Rücken und taten ihr weh. Der Druck, den er auf sie ausübte, wurde stärker, seine Bewegungen wurden heftiger. All seine Gefühle, seine Leidenschaft, seine Sehnsüchte, seine Verletzlichkeit, aber vor allem seine Enttäuschung über das, was sie gesagt hatte und seine Wut brachen aus ihm heraus und gaben ihm Kraft.
    »Nein!«, schrie sie und schaffte es, sich aus seiner Umarmung zu befreien. »Verdammt noch mal, hör auf damit! Es geht nicht, Rico, und ich will nicht. Mach dich jetzt nicht unglücklich.«
    Ihre Worte waren wie ein Eimer Wasser, der ein loderndes Feuer zischend in Dampf verwandelt. Rico kam sich auf einmal lächerlich vor und stand mit hängenden Armen vor ihr.
    »Was hab ich falsch gemacht?«, stammelte er.
    »Gar nichts«, erwiderte sie und seufzte. »Es war eben nur das eine Mal. Ein Abend. Eine besondere Situation und weiter

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