Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
Das Fest war jetzt fünf Tage her, und sein Leben fühlte sich an wie ein auf links gezogener Pullover.
    Es war nicht Sarah, die nach wenigen Minuten lächelnd aus der Tür trat, es war Romano.
    »Rico!«, sagte er überrascht. »Was treibt dich denn hierher?«

    »Ich würde gern eine Kleinigkeit essen«, meinte Rico. »Jetzt hast du die Trattoria schon seit zwei Monaten, und ich war noch nie hier …«
    »Gute Idee«, lächelte Romano. »Du siehst, mittags ist im Moment auch noch nicht so viel los. Abends läuft es wesentlich besser. Es muss sich eben erst rumsprechen. Warum hast du denn deine Mutter nicht mitgebracht?«
    »Sie fühlt sich nicht«, sagte Rico schnell. »Darum hat sie heute auch nicht gekocht.« Es ärgerte ihn, dass er auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen war, obwohl es doch nahe lag, dass Romano so etwas fragen würde.
    »Was möchtest du denn essen? Ein paar Fusilli mit Thunfisch und Oliven habe ich gerade fertig.«
    »Prima.«
    »Auch eine Vorspeise? Mozzarella auf Tomate mit Basilikum?«
    »Phantastisch.«
    »Einen roten oder einen weißen?«
    »Einen roten.«
    »Wasser naturale oder frizzante?«
    »Naturale.«
    Romano nickte. »Alles klar. Und sonst? Wie geht’s dir? Alles gut?«
    »Alles tutto bene.« Rico atmete tief ein und sah aus wie aufgepumpt. »Und bei dir? Was macht dein kleiner Sohn? Ihr habt doch einen bekommen, oder täusche ich mich?«
    »Nein, nein, du täuschst dich nicht. Eduardo. Er ist ein Schatz, sag ich dir.« Romanos Augen leuchteten auf. Wenn er über Eduardo redete, konnte er seinen Stolz nie verbergen. Da Rico nichts weiter sagte, zog er die Tischdecke glatt und ging wieder ins Haus.

    Du bist ein so netter Mensch, Romano, dachte Rico. Und ich hatte was mit deiner Frau. Du hast nicht die geringste Ahnung, du könntest es dir wahrscheinlich auch nicht vorstellen. Deine Frau ist nicht so, wie du denkst. Sie ist ganz anders. Und wenn ich könnte, würde ich das alles wiederholen, auch wenn du mich irgendwann dafür umbringst.
    In diesem Moment kam sie auf die Terrasse. Auf dem Arm den kleinen Eduardo, der sich an ihren langen blonden Haaren festhielt.
    »Buongiorno, Rico!«, sagte sie lächelnd. »Schön, dass du mal vorbeikommst. Kennst du Edi schon? Er ist jetzt ein Jahr, neun Monate und zwölf Tage alt.«
    »Süß, ganz süß ist er«, meinte er und fixierte ihre Lippen.
    »Das freut mich, dass du das sagst. Ich muss jetzt wieder rein, Edi etwas zu essen machen.« Dann beugte sie sich leicht vor und flüsterte: »Morgen um siebzehn Uhr an der alten Kapelle, wenn du willst.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und ging zurück ins Haus.
    Alles hatte Rico erwartet, aber nicht das. Er scharrte unter dem Tisch mit dem Fuß, ohne es zu merken. Verflucht noch mal, es würde wahrhaftig eine Wiederholung geben. Das hatte er noch nie erlebt.
    Kurz darauf kam Romano mit den Getränken und dem Mozzarella auf die Terrasse und schenkte Rico ein. »Sarah war hier draußen bei dir …« Rico erschrak. Er wusste nicht, wie viel man in der Trattoria durch die geöffnete Tür von dem hören konnte, was auf der Terrasse gesprochen wurde.

    »Sie hat mir euren Sohn gezeigt. Er ist ein toller kleiner Kerl.«
    »Ja, nicht?« Jetzt strahlte Romano regelrecht. »Schön, dass du ihn mal gesehen hast. Guten Appetit.« Damit verschwand er wieder und ließ Rico mit seiner Vorspeise allein.

34
    Die Kapelle lag nicht weit von Montefiera entfernt am Rande eines Olivenhains. Zu Fuß ging man vom Ort nicht länger als zehn Minuten. Sie wurde seit gut zwanzig Jahren nicht mehr benutzt und war dementsprechend verwahrlost. Herausgebrochene Fenster, ein circa ein Quadratmeter großes Loch in der Decke, durch das man den Himmel sehen konnte, und Gräser, die dort durch den Fußboden wuchsen, wo ein Stein fehlte, vermittelten einem eher das Gefühl, in einer Ruine zu sein als in einer kleinen Kirche. Es gab keine Bänke, keinen Altar und keinen Beichtstuhl mehr in dem Kapellenraum, aber ein dreißig Zentimeter hohes Podest, das den Altarraum optisch vom Teil der Kirchgänger trennte.
    Eine hohe Mauer mit einem hölzernen Tor umgab den kleinen zugewucherten Friedhof und machte den Kapelleneingang von der Straße her völlig uneinsehbar.
    Sarah hatte von Montefiera aus noch nie beobachtet, dass irgendjemand die Kapelle betreten hatte, und fühlte sich daher relativ sicher.
    Sie war schon da, als Rico pünktlich um fünf die Kapelle betrat. Seine Mutter vermutete ihn wieder bei der Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher