Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
mit dem juchzenden Bub, dessen blonde Locken dabei im Rhythmus rauf und runter wippten, eine Runde durch das Labor.
Von Lucia her war der Unterricht damit beendet, doch als Leonardo Salai wieder auf die Füße stellte, begannen die Männer zu diskutieren, welche Mixtur besser geraten sei, Nicolas Zinnoberrot oder Salais Ockergelb. Männer brauchen stets einen Sieger, amüsierte sich Lucia, und der musste jetzt ermittelt werden. Dazu stellten sie beide Schüsseln nebeneinander auf den Arbeitstisch, und dann wurde pingelig geprüft und verglichen. Sie hoben seitlich die Schüsseln an, beäugten die Farben von allen Seiten, rochen daran, rührten abwechselnd darin und prüften sogar mit den Fingern ihre Beschaffenheit. Nicola sah belustigt zu, und Salai blickte angespannt von einem Prüfer zum anderen. Die aber konnten sich nicht entscheiden, und trotz ihrer Bitten half Lucia ihnen nicht dabei. Bis Giovanni Nicola fragte: "Hat deine Masse Blasen geschlagen?"
"No."
"Also", verkündete Giovanni, "für mich scheidest du damit aus."
Diesem Urteil schlossen sich die anderen zwar lachend, doch einmütig an. Damit war Salei der Sieger und rannte sogleich mit hochgerissenen Armen und J u h u u -rufen durch den Raum. Bis Leonardo ihn einfing, worauf jeder Salai zu seinem Sieg gratulierte. Lucia, etwas abseits stehend, schaute ihnen lächelnd zu, mit solch einem Ausgang ihres Unterrichts hatte sie nimmer gerechnet.
Als sich schließlich alle mit Handschlag bei ihr bedankten, konnte sie zu ihrem Bedauerns keinermanns Miene ablesen, ob ihm der Unterricht zugesagt hatte oder nicht.
Darauf fand sie auch keine Antwort nachdem alle, für ihre Begriffe zu plötzlich, das Labor verlassen hatten und sie darüber nachsann. Sei's drum, sagte sie sich schließlich, zumindest habe sie gegen keine ihrer Aussagen Widerspruch erfahren.
Selbst Tags drauf erfuhr Lucia keine Resonanz auf ihren Unterricht. Weder beim Frühstück noch beim Mittagsmahl, die Männer sprachen von allem Möglichem, nur nicht vom gestrigen Nachmittag. Bis auf Nicola und Salai wich sogar jeder ihrem Blick aus. Enttäuscht musste sie annehmen, der Unterricht habe ihnen missfallen. Wahrscheinlich wegen des einstündigen Rührens. Das aber war für Carlo und Nicola zum Erlernen von Farbherstellung unerlässlich, und nur für diese Beiden war ja der Unterricht gedacht. Sie wird auch künftig nicht umhinkommen, sie diese Übung noch mehrmals durchführen zu lassen, bevor sie die Herstellungen mit den Geräten durchführen können.
Nicht weiter darüber nachdenken, sagte sie sich bald und wandte sich ihren anderen neuen Aufgaben zu. Um mit diesen Geräten Leim, Grundiermasse sowie größere Farbmengen zu fabrizieren, überlegte sie, fehlten hier etliche Rohsubstanzen. Vor allem unzermahlene Gesteine, die natürlich weitaus billiger waren als die bereits pulverisierten. Lucia beschloss, sich bei Lieferanten der Malergeschäfte zu erkundigen, wo sie in der Umgebung von Mailand einen Mineralhändler findet, bei dem sie alles hier noch Fehlende besorgen kann.
Damit hatte sie einen vernünftigen Plan für ihre Laborleitung erstellt, den sie im Laufe des Nachmittags weiter ausarbeitete. Zunächst verfasste sie eine Bestandsaufnahme des Lagers und notierte gleichzeitig, welche Materialien besorgt werden müssen. Eine langwierige Tätigkeit, die sich über den gesamten Nachmittag hinzog und mit der sie auch nach Feierabend noch beschäftigt war. Sie kniete gerade vor den Regalen, als plötzlich Leonardo zur Tür herein trat und sie freundlich ansprach: "Na, du Fleißmaus? Lässt dich ja gar nicht mehr blicken bei uns, wir vermissen dich schon."
"Weil ich hier ordentlich zu tun habe", erklärte sie, legte ihm kurz ihr Vorhaben dar und fragte ihn um Erlaubnis für diese Einkäufe.
Er war einverstanden: "Nur zu, du hast hier für alles freie Hand, vorausgesetzt, du vernachlässigst darüber nicht deine Malstudien."
"Bestimmt nicht, Leonardo."
Nun blickte er sich nervös um, fuhr sich dann mit der Hand übers Kinn und räusperte sich, bis er endlich herausbrachte: "Weshalb ich gekommen bin, Lukas - dein Unterricht gestern hat uns überrascht. Wir waren beeindruckt."
"Aber . . , inwiefern beeindruckt?"
"Weil, zugegeben, dein reiches Wissen hat uns überrascht", gestand er mit verlegen gesenktem Blick. "Und ebenso die souveräne Art, wie du uns das Zustandekommen der Mixturen erklärt hast. Darauf waren wir nicht vorbereitet, immerhin haben wir dich bis dahin nur als Garzone gekannt."
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