Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
seine Hände zu Fäusten, was bei ihm fast lächerlich wirkte, und verließ das Labor.
Gleich darauf wollte sich Lucia vorwerfen, ihn falsch beraten zu haben, sagte sich dann aber, sie sei als Lukas zwar sein Freund, doch die Entscheidung zwischen Familiengründung oder weiterhin Männerliebschaften müsse er schon selber treffen.
Auch wenn sich Lucia von jenem Gespräch mit Carlo schnell abreagiert hatte, konnte sie ihre unterbrochene Malstudie nicht wieder aufnehmen.
Aber ihr gelangen in letzter Zeit ohnedies keine mehr, sowie sie sich um Konzentration bemühte, schweiften ihre Gedanken ab - nach Meran. Sie sorgte sich um das Bellwillunternehmen. Im Gegensatz zu Carlo, der sein Problem nun wenigstens ihr hatte anvertrauen können, stand sie mit ihrer Sorge um das Werk nach wie vor alleine da, konnte mit niemandem darüber reden oder sich schriftlich austauschen, auch nicht mit Alphonse, nicht mit ihrer Mutter und, was am tragischsten war, am wenigsten mit ihrem Vater, der sie schließlich im Werk vertrat.
Auf eine weitere Mitteilung von ihrer Mutter hatte sie vergeblich gewartet, woraus sie schloss, dass ihr Vater seine Verstocktheit unverändert beibehielt. Sie hatte bereits erwogen, ihn schriftlich zu bitten, die Produktion zu reduzieren, hatte jedoch eingesehen, wie zwecklos das wäre. Nachdem sie von ihrem Aufenthalt in Meran zurückgekehrt war, war sie zunächst mit ihren im Werk getroffenen Regelungen zufrieden gewesen. Doch in den letzten Wochen war ihr immer klarer geworden, dass sie nicht konsequent genug durchgegriffen hatte, was irreparable Folgen nach sich ziehen kann. Denn ihr Vater wird in der Fabrikation weiterhin Übermengen produzieren lassen, wodurch nicht nur die Gewinne sinken werden, es bestand zudem die Gefahr, dass er abgelagerte Produkte verkaufen lässt und somit den Ruf des Werkes schädigt. Um das zu verhindern, müsste sie Weihnachten in Meran verbringen. Nur reichten ihr die hier üblichen zwei Wochen Weihnachtsferien dazu nicht aus, sie benötigte mindestens vier Wochen. Die würde Leonardo ihr zwar gewähren, doch sie will seine Gutmütigkeit nicht ausnutzen, zumal sie gerade jetzt für einen Großauftrag, den die Bottega vor zwei Wochen von Herzog Ludovico erhalten hatte, reichlich Grundiermasse und Temperafarben herstellen muss. Was hatte nun Vorrang? Die Zeit drängte zu einer Entscheidung. Lucia tendierte zum Bleiben, wozu sie ihr Pflichtgefühl animierte. Herzog Ludovico hatte Leonardo beauftragt, mit seinen Künstlern nach den kleineren jetzt auch die größeren Räume des Sforzapalastes auszumalen. Seitdem fertigten sie Skizzen und Ornamentschablonen dazu an, und wenn Lucia sah, mit welchem Fleiß alle daran arbeiteten, wäre sie sich schofel vorgekommen, für das spätere Ausmalen der Wände nicht rechtzeitig die dafür nötigen Grundiermassen und Temperafarben hergestellt zu haben.
Nun kam Leonardo ihr unverhofft zur Hilfe. Er betrat das Labor, als sich Lucia wieder vor ihrer Staffelei vergeblich um Konzentration bemühte, weshalb er sich leisen Schritts wieder entfernen wollte, doch in dem Moment stieß sie, verärgert über sich selbst, einen Stoßseufzer aus.
"Was ist, Lukas, will's nicht klappen heute?"
"In letzter Zeit überhaupt nicht mehr."
Darauf setzte er sich zu ihr und erkundigte sich, ob das an der Laborarbeit liege.
"Nur an mir selbst", schimpfte Lucia, und ehe sie sich's versah, war ihr herausgerutscht, sie bekomme ihre Sorgen um das Bellwillwerk nicht aus dem Kopf. Darauf sah er sie groß an, und sie konnte nun keinen Rückzieher mehr machen. Warum sollte ich auch, überlegte sie kurz und gestand ihm, dass der Gründer jenes Werkes ihr verstorbener Großvater George de Belleville war. Seine Augen wurden noch größer, und sein Mund öffnete sich, Lucia musste schmunzeln, jetzt war er es, der diesen Kalbsblick hatte.
"Worüber grinst du jetzt?", fragte er verstört, "hast mir 'ne Mär aufgetischt, wie?"
Das brachte sie erst recht zum Lachen, wobei sie ihm erklärte: "No, Leonardo, nur weil eben du gekuckt hast wie sonst manchmal Alfonso und ich - offensichtlich eine Bellesigni-Eigenart."
Er winkte verschämt ab, und Lucia, wieder ernst, sagte ihm, dass der Gründer des Bellwillwerkes tatsächlich ihr verstorbener Großvater mütterlicherseits sei, und um das Bild abzurunden, ergänzte sie: "Um dieses Erbe ist es immer gegangen, geht es sogar noch jetzt, weil sich mein Vater einredet, er habe ein Anrecht darauf."
"Und das hat er nicht? Ich verstehe das nicht -
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