Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
die Dosen mit den Holzbeizen, den Lack- und den Künstlerfarben aufgestapelt, und neben ihnen standen fast drei Dutzend Kannen mit den teuren Textilfarben.
Lucia, die Kontoristen und Lageristen hatten sich bereits hier versammelt, als jetzt in ihren hellgrauen Arbeitsanzügen stolz Meister Rodder mit seinen Farbproduzenten in die Halle einschritten und sich dann unter die anderen mischten.
Wieder auf dem provisorischen Holzpodest stehend, begrüßte Lucia sie und erteilte gleich darauf Herrn Adam, der sich neben ihr aufgestellt hatte, das Wort. Der wies mit der Hand auf die Stapel mit den unbrauchbar gewordenen Produkten, die, wie er verkündete, nun alle in die Müllgrube geschüttet werden müssten. Darauf wurde Empörung laut, und Meister Rodder starrte, bleich vor Schreck, auf die Riesenmenge seiner verdorbenen Ware. Herr Adam genoss diesen Augenblick und schürte noch das Feuer, indem er, nach hinten auf die noch brauchbaren Waren deutend, erklärte: "Auch diese Farben und Leime können wir längst nicht alle verkaufen, weil es zu viele sind. Wir müssen zu jedem Mondende die veralterten aussortieren und ebenfalls in die Grube kippen. Was sich, wie sich leicht errechnen lässt, noch ein volles Jahr hinziehen wird."
Jetzt muckten einige Farbhersteller auf, sie hielten das soeben Vernommene für übertrieben, Herr Adam aber forderte sie auf, einige Deckel der Behälter anzuheben, um sich den Inhalt zu betrachten. Sie kamen der Aufforderung nach und erschraken - alle Farben und Leime waren angetrocknet, da Herr Adam die am schwersten betroffenen in Griffweite hatte platzieren lassen. Auch Meister Rodder sah sich mit schreckgeweiteten Augen die Misere an, wobei sich sein Gesicht nun restlos entfärbte.
Unter den übrigen Anwesenden brachen bald Diskussionen über diese Verschwendung aus, sie wurden lauter, und die Vorwürfe richteten sich mehr und mehr gegen Meister Rodder.
Darüber ließ Lucia mehrere Minuten verstreichen, erst dann bat sie Herrn Adam, ihr Gehör zu verschaffen. Der brachte mit seiner durchdringenden Stimme die Versammelten langsam zum Schweigen.
Als endlich alle aufmerksam zu ihr hochblickten, mahnte Lucia sie, nicht alle Schuld auf Meister Rodder zu schieben, so einfach könne man sich das nicht machen. Im Kontor sei beispielsweise versäumt worden, das Gesetz von Angebot und Nachfrage zu wahren, was alleine durch Verhinderung dieser immensen Einkäufe bei den Mineralhändlern zu erreichen gewesen wäre. Die Lageristen hätten, statt nur zu meutern, längst die überalterten Produkte aussortieren und den Herstellern vorführen müssen, und Herr Schmalhover hätte die Produktion, anstatt noch anzukurbeln, bremsen müssen. Nun legte Lucia eine Pause ein, damit ihre Vorhaltungen nicht verpuffen, und währenddessen wagte niemand, sie anzuschauen. Erst als unter den Versammelten Gespräche aufkommen wollten, fragte sie von ihrem Podest herab die Lageristen, wann nach ihrer Meinung die Produktion wieder aufgenommen werden solle. Ihre Antworten fielen zunächst unüberlegt aus: "Nicht vor einem Jahr." "Auf keinen Fall früher."
Die Produzenten entsetzten sich entsprechend, worauf sich die Lageristen besannen, und dann auch an die Anstreich-, die Temperafarben und die Leime dachten, deren Verfallszeit ja nur ein halbes Jahr betrug, weshalb sie sich schließlich auf den Sommer einigten. Als Meister Rodder ihnen jedoch klarmachte, dass diese neuen Produkte zwar im Sommer auf Lager sein müssten, ihre Herstellung jedoch eine gewisse Anlaufzeit benötige, wussten sie nicht mehr weiter. Deshalb fragte Lucia Meister Rodder, welchen Zeitpunkt denn er für angebracht hielt.
"Ostern", kam es spontan von ihm, "direkt nach Ostern soll wieder angefangen werden."
Darauf erlaubte sich Schmalhover lautstarken Protest: "Das ist viel zu früh! Wieder typisch Rodder!"
"Herr Schmalhover, mäßigt Euch", wies Lucia ihn zurecht, wandte sich wieder an ihren Vater und bestätigte ihm, dass Anfang des Wonnemonds der richtige Zeitpunkt sei. Bis dahin sollten seine Leute wie auch die aus der Abfüllerei die aussortierten Gefäße zur hiesigen Müllgrube befördern, sie dort auskippen und danach die noch brauchbaren Gefäße zur Wiederverwendung entsprechend reinigen. Dadurch sparten sie wenigstens die Kosten für neue Gefäße. Meister Rodder und seine Leute nickten Lucia zu, worauf sie Herrn Hoyer auftrug, nachher auch den Leiter der Abfüllerei dahingehend zu instruieren. Anschließend gab sie allen Anwesenden bis zum Mittag
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