Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
alles für Lucia zusammen, und sie trug Herrn Hoyer auf, den ganzen Vormittag über niemanden zu ihr vorzulassen.
Anschließend bemühte sie sich unter Tränen, sich mit dieser Situation abzufinden. Fortan müsse sie also wieder tagein tagaus in diesem Kontor sitzen. In einst George de Bellevilles Kontor, das er nach seinem Geschmack hatte ausstatten lassen. Nämlich als wuchtiges, nüchternes und hartes Männerkontor, entsprechend der Aufgaben, die er hier zu erfüllen hatte.
Jetzt litt Lucia unter dem Druck, als Frau die gleichen Leistungen erbringen zu müssen wie er. Sie alleine, ohne Unterstützung eines befähigten Assistenten. Das hätte in der momentanen Situation selbst an ihren Großvater die höchsten Anforderungen gestellt, wusste sie
Und ihre Berufung, die Kunst?
Bald tröstete sie sich halbwegs mit dem Gedanken, falls es ihr gelinge, hier wieder alles in geregelte Bahnen zu lenken, könne sie Leonardos Bottega zumindest dann und wann einen Besuch abstatten. Außerdem verfüge sie im Herrenhaus über ein eigenes Atelier, in dem sie sich später ausgiebig betätigen kann. Gänzlich zum Versiegen brachte dieser Gedanke ihre Tränen jedoch nicht.
Dennoch war sie am Mittag, als die Werksglocke für alle die Silvester- und Neujahrspause einläutete, wieder einigermaßen gefasst. Wie ihr dann beim Verlassen ihres Kontors Herr Hoyer begegnete und ihre glasigen Augen entdeckte, redete er ihr in seiner netten Art zu: "Kein Grund, Fräulein, die Hoffnung auf einen befähigten Assistenten aufzugeben. Er muss ja nicht aus unserem Betrieb stammen."
"Daran habe ich auch schon gedacht. Aber wie auch immer, heute Nacht wird Silvester gefeiert."
"Richtig, und das hat niemand mehr verdient als Ihr."
Fröhlich feiern konnte Lucia dann nicht, auch wenn sie auf Anregung ihrer Mutter mehr denn sonst zu dem spritzigen Meraner Weißwein griff, der ihre Gäste in eine immer ausgelassenere Stimmung versetzte. Im Festsaal spielten vier Musikanten zum Tanz auf, Lucia trug ihr freundlich gelbes Ballkleid, war aber dennoch eine trübe Gesellschafterin, "'ne Trauerweide", hatte ihr Justus vorgeworfen, als vorhin von der St. Nikolauskirche das Neujahrsgeläute zu ihnen her geweht war.
Nicht besser Meister Rodder, seine Leidensmiene rührte Lucia fast. Grotesk, er trauerte jener Position nach, die nun Lucia unglücklich machte. Es gab Momente, und jetzt war ein solcher, wo Lucia ihrem Großvater verübelte, dass er ihr diese Verantwortung aufgebürdet hatte.
In dieser Verfassung stahl sie sich nun unbemerkt durch die Hintertür des Saals in den Korridor und floh von dort hinüber in ihre Gute Stube. Dort blickte sie sich verwundert um, es brannten mehrere Lampen darin und dann entdeckte sie ihre Mutter, die sich auf dem Sofa ausgestreckt hatte.
"Erschrick nicht", lächelte sie Lucia an, "ich habe mich einen Moment ausruhen müssen."
Sie war blass und hatte bläuliche Lippen, wie bereits mehrmals in den letzten Tagen, und während sich Lucia zu ihr setzte, erkundigte sie sich, ob ihr nicht wohl sei.
"Nur etwas erschöpft", erklärte Madame Rodder, "aber das ist fast vorbei. Du weißt doch, dieses teuflische Opium. Es hat mein Herz angegriffen, und davon habe ich mich noch nicht restlos erholt."
"Maman, und dann übernimmst du dich hier mit diesem Fest."
"Für dich doch, ma Chère."
Inzwischen hatte sich Madame Rodder aufgerichtet, ihre Lippen wurden wieder rosa, und wie sie sich dann auf die Füße stellte, bot Lucia ihr an, sie hoch in ihre Wohnung zu begleiten. Worauf ihre Mutter spitzbübisch entgegnete, sie könne besser ohne sie an den Gästen vorbei zu ihrer Wohnung schleichen.
Lucia musste lachen: "Schade, daran hätte ich gerne teilgenommen."
"Das nächste Mal", gab sie lachend zurück.
Dann umarmten sie sich kurz, Madame Rodder verließ die Stube und trat ihren Schleichweg an. Lucia schaute ihr belustigt nach - ihre Maman, wenigstens zum Abschluss des Festes noch eine Heiterkeit.
Am Neujahrstag ging es im Bellwillhaus still zu. Die einzig Muntere war Madame Rodder, obgleich doch auch ihr vom vielen Wein der Schädel brummen müsste, und als Lucia sie darauf ansprach, erklärte sie ihr: "Ihwo, ma Petite, als Gastgeberin darfst du nie wirklich trinken, sondern immer nur tun als ob."
"Du bist eine großartige Gastgeberin, ich habe dich viel beobachtet und weiß jetzt, worauf es ankommt."
Darüber freute sich ihre Maman: "Dann hat sich das Fest ja rentiert. Traust du dir denn für das nächste Mal diese Rolle schon zu?"
"Och,
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